Freigericht: Alle Narren sind Politiker

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Da soll noch mal einer sagen, die Freigerichter haben keinen Humor: Erstmals haben sich am vergangenen Freitag alle Karnevalsvereine der Gemeinde zusammengeschlossen und gemeinsam eine Sitzung der Freigerichter Gemeindevertretung im großen Sitzungssaal des Rathauses nachgespielt.



Und eins vorweg: Die Darstellung der einzelnen Gemeindevertreter, der durchaus realistische Ablauf der Sitzung mit viel Streit und Diskussionen und ja sogar das Bühnenbild ist den Freigerichter Karnevalisten perfekt gelungen. Da diese einzigartige Faschingssitzung aber wohl nur Insidern bekannt war, fanden sich leider nur wenige Zuschauer im Rathaus ein. Für alle, die nicht dabei waren, stellen wir daher hier den Ablauf dieses karnevalistischen Leckerbissens möglichst originalgetreu nach. Der Einfachheit halber nennen wir nur die Namen der Personen, die gespielt wurden, die Darsteller dürfen sich aber natürlich dennoch geehrt fühlen.

Sitzungsbeginn um 18.30 Uhr, der Vorsitzende läutet seine Glocken. „Ich begrüße sie, ich begrüße sie“, eröffnet der Vorsitzende Klaus Brönner in Heinz Schenk-Manier das närrische Treiben. Wie üblich bei Faschingssitzungen baut sich die Spannung danach langsam auf. „Gab es da schon wieder Randale am Busbahnhof?“, zwingt ein täuschend echt aussehender Hugo Klein den Bürgermeister Joachim Lucas zum ersten Mal in die Bütt. „Ja, das stimmt, die Türen der Toiletten wurden eingetreten. Aber wir hatten Glück, drinnen gibt es keinen Sachschaden, war ja vorher schon alles kaputt“, war damit der erste Lacher des Abends schon mal perfekt. Aber keine Angst, es wird noch viel besser.

Während die Sitzung zunächst mit einigen klassischen Büttenreden fortgesetzt wird, lässt Herbert Huth in der letzten Reihe zum ersten Mal den Brezel-Wagen anrollen. „Skandal, Desaster, Klientelpolitik“, schreit Gerhard Hof von ganz vorne in seine Richtung, woraufhin Huth zwei der fünf bestellten Brezel sofort zu seinem Tischnachbarn Ortwin Hackenberg rüberschiebt. Das wiederum bemerkt Dr. Manfred Kirschning: „Ich spreche jetzt zur Geschäftsordnung: Du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus“, wurde er nach eigenen Angaben als Heiliger Paragraphenreiter wiedergeboren und will in Zukunft die Hessische Gemeindeordnung in Freigericht verkünden. „Sacht ma, da stimmt doch irgendwas nicht“, schaut der UWG-Vorsitzende Gerhard Pfahler in seine Fraktionsrunde. Diese Worte kamen ihm irgendwie bekannt vor…

Dann die erste Sitzungsunterbrechung. Gerhard Hof will namentlich abstimmen lassen. „Ich brauche Stimmzettel“, schreit Brönner seine diesmal nicht vorhandene charmante Assistentin an. Kämmerer Kraut rennt los, zieht aber auf dem Weg zum Kopierer plötzlich eine Leinwand von der Decke herunter. Unglaublich: Die Karnevalisten hatte eine Liveschaltung in die Zehntscheune nach Neuenhaßlau organisiert. Dort tagt anscheinend immer noch die Hasselrother Gemeindevertretung, inzwischen schon seit über 24 Stunden. Oder ist das auch alles nur gespielt? Auf jeden Fall ist auch diese Inszenierung perfekt: Links in der Ecke sitzt Helmut Müller vor einem riesigen Haufen Geldscheinen und zählt laut vor sich hin: „Zwei Millionen, sechshunderttausend, neunhundertneunzigtausend, neuntausendneunhundertneunzig und noch zwei fünf Euro Scheine, alles klar, Uwe, die 2,7 Millionen sind wieder da“, zwinkert er Bürgermeister Scharf zu. Der steht immer noch am Rednerpult, während die komplette SPD-Fraktion vom selbst ernannten Finanzexperten Matthias Pfeifer seit Stunden hinter der Theke eingekesselt wird. „Engel und Teufelchen, Doppik und Kameralistik, na wer weiß den Unterschied?“, wird das Summen der SPD-Veteranen des alten Kassenschlagers „Frieden ohne Geld“ derweil immer leiser. Grandios auch der Schluss-Gag: Bürgermeister Uwe Scharf schreit laut „Hasselroth ist liebens- und lebenswert“, setzt sich ins Auto und fährt zu seinem neuen Haus nach Somborn, wohlgemerkt ein Freigerichter Ortsteil…

Aber das war natürlich eine perfekte Überleitung. Raimund Seliger geht in die Bütt. „Sehr geehrter Herr Brönner, wir bitten sie, folgenden Antrag auf die Tagesordnung der nächsten Sitzung zu nehmen“, wird er von Brönner unterbrochen: „Herr Seliger, die Sitzung läuft bereits seit zwei Stunden, diesen Teil auf ihrem Zettel da können sie weglassen.“ Seliger: „Ach so, vielen Dank, dann mach ich mal weiter… Mit freundlichen Grüßen, ihr Raimund Seliger.“ Ja, auch so ein Scherz mit Tiefgang darf bei einer Faschingssitzung durchaus einmal sein.

Die nächste Sitzungsunterbrechung steht an, inzwischen Nummer 18, nichts Ungewöhnliches für Freigericht. Eine Frau mit Peitsche und langen blonden Haaren verteilt Flaschen mit den üblichen Getränken, allerdings geschickt getarnt. Wo Cola drauf steht, ist Ramazzotti drin, in die Wasserflasche wurde wie üblich Wodka gefüllt. „Mama, was ist das denn für ein Zeug?“, fragt die kleine Natalie ihre Mama Erika, die allerdings ziemlich schroff reagiert: „Du bist hier jetzt schon zwei Jahre dabei, langsam solltest Du Dich daran gewöhnen, trinken wir zu Hause doch auch immer.“ Wie sich wenig später herausstellte, war das die perfekte Überleitung zur Jungen Union.

Doch zunächst plötzlich ein Schlag, Achim Kreis hat sein Ipad fallen gelassen. „Jetzt weiß ich es wieder, es war hier in diesem Saal“, ist ihm nach 13 Jahren endlich eingefallen, wann er zum letzten Mal im Haushalt mitgeholfen hat. „Geschäftsordnung!“, schreit Kirschning aus dem Hintergrund, wird aber von Brönner abgewürgt: „Kommt jetzt schon die Cowboy- und Indianernummer?“, hat er offensichtlich kurz den Überblick verloren. „Erst wenn ich alle Waffen geladen habe“, lässt diese Ankündigung von Bürgermeister Lucas auf ein großes Finale hoffen. Während Sabine Henkel-Effenberg in Lederklamotten durch die engen Stuhlreihen marschiert, zieht sich Joachim Heldt ein Trikot von Germania Horbach mit der allerdings ungewöhnlichen Werbeaufschrift „Billy Boy“ über. Plötzlich geht das Licht aus, nur der rote Kopf von Heldts Tischnachbar Albrecht Eitz ist zu sehen und im Hintergrund grummelt – so hoffen wir - Herbert Huth: „Ich kann die Nüsse nicht finden.“ 

Schnell weiter zur Jungen Union. Da geht’s um einen Mietzuschuss, lächerliche 6.000 Euro für gefühlte zwölf Quadratmeter, aber im Fasching ist ein bisschen Übertreibung ja erlaubt. Hugo Klein ist dran: „Ich lasse mir von Ihnen nicht unterstellen, dass ich Landtagsabgeordneter bin, äh, nein, ach herrje, wie war der Text noch mal?“, hilft ihm Gerhard Hof aber sofort aus der Patsche. „Sie wohnen in Wiesbaden, arbeiten in der Telefonzentrale und die Junge Union ist ihr Lieblings… jetzt sind sie wieder dran, Herr Klein!“ „Lieblingsklub!“ Naja, nicht die beste des Nummer des Abends, so scheint es zunächst, doch dann kommt  einer der viel zu seltenen, aber wieder einmal außergewöhnlichen Auftritte von Sebastian Klüh. Der CDU-Gemeindevertreter verlässt seinen Platz zwischen seinen CDU-Kolleginnen Fischer und Henkel-Effenberger und schlingert durch die Reihen der CDU vorbei am CDU-Fraktionsvorsitzenden Hugo Klein in Richtung Bütt. „Die Junge Union ist ein eigenständiger Verein, mit der CDU haben WIR überhaupt nichts zu tun“, geht der stellvertretende Vorsitzende der CDU-Freigericht vorbei an seinem CDU-Vorstandsmitglied Florian Altmann zurück an seinen Platz in Reihen der CDU zwischen den beiden CDU-Gemeindevertreterinnnen…, achso, das hatten wir wohl schon. Auf jeden Fall beginnt dann sofort das Tuscheln bei den Grünen. „Was ist dieses CDU?“, fragt Holger Marquardt hinter dem Rücken von Jennifer Seymour seinen Fraktionskollegen Stephan Remmel. Allerdings schaltet sich von vorne sofort Natalie Trageser ein: „Denkt dran, wir essen kein Fleisch!“, gibt sie anscheinend das Abstimmungsverhalten bei diesem Tagesordnungspunkt vor.

Dann aber endlich die Cowboy- und Indianernummer. In den Hauptrollen: Klaus Brönner, Albert Schmitt und natürlich John Wayne alias Joachim Lucas. Albert schwätzt wie abgesprochen einfach drauf los, Klaus hakt sich sofort von hinten ein und legt die Hand an den Colt. „Geh oder stirb!“, ruft das Joachim auf den Plan. Langsam erhebt er sich von seinen Platz, schiebt seine rechte Hand in die Hosentasche und geht breitbeinig, wie eben einst John Wayne oder – wer ihn noch kennt - Glenn Ford, am Elferrat vorbei zu Indianer Schmitt. „Gerhard, setz Dich wieder hin“, lautete der Originaltext im Haupt- und Finanzausschuss, Regisseur Hubertus von Savigny, der schon seit Jahren die Gemeindevertretersitzungen, nein Korrektur: die Faschingssitzungen in Freigericht inszeniert, entschied sich für folgende Formulierung. „Albert, es ist Zeit zu gehen!“ Dieter Pochop begleitet den Ritt aus dem Saal auf seiner Mundharmonika.

Eigentlich schon ein perfektes Ende, doch die große Schlussnummer lassen sich die Freigerichter Karnevalisten natürlich nicht nehmen. Günther Noll stimmt das allseits beliebte Vereinslied „Wir versaufen unser Oma ihr klein Häuschen“ an, die komplette UWG-Fraktion raschelt dazu mit den leeren Brezeltüten von Herbert Huth, Professor Fleckenstein singt passend im Kanon „Kaleidoskooooooop, Kaleidoskooooooop“ und ab der zweiten Strophe hakt sich Kirschning mit einem schrillen „Geschäftsordnung! Geschäftsordnung!“ ein. „Zigarettenpause!“, schreit Gerhard Hof und Klaus Brönner hört aufs Wort: „Es ist Punkt 22.30 Uhr, ich breche die Sitzung ab.“ Ein grandioser Abend, Fortsetzung folgt. Helau oder „Klopp, Klopp“, wie die Somborner rufen.


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