Kita-Streik: Offener Brief von Erzieherinnen und Co.

Leserbriefe
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Mit einem Offenen Brief, verschickt über Heinz Gröning von der Gewerkschaft ver.di, wenden sich die Streikenden des Sozial- und Erziehungsdienstes aus Maintal an die Bevölkerung.



"An
alle Eltern,
alle Bürgerinnen und Bürger,
alle Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, alle Arbeitgeber,
alle Verbände und Organisationen, alle Parteien

Die in Maintal beschäftigten Streikenden des Sozial- und Erziehungsdienstes, tätig in kommunalen KiTas, an Schulen, in der Jugendhilfe, in Behindertenwerkstätten und vielen anderen Einrichtungen der sozialen Arbeit, wenden sich mit diesem Schreiben an Sie. Wir wussten im Vorfeld nicht, wie schwierig diese Tarifauseinandersetzung wird und wie ignorant sich die Vereinigung kommunaler Arbeitgeber uns gegenüber verhält. Aber genau diese tatsächlich schwierige und ungerechte Situation bringt uns Menschen im sozialen Bereich zum Handeln. Wir befinden uns mittlerweile in Woche 4 eines bundesweiten Streiks des Sozial- und Erziehungsdienstes. Mit diesem Streik treffen wir leider genau die, die es nicht verdient haben die Kinder und ihre Familien. Wir können aber keine Tarifauseinandersetzung führen, ohne dass sie spürbar ist und in der Öffentlichkeit diskutiert wird. Wir stehen da, wo wir jetzt stehen, weil wir uns in den letzen 20 Jahren immer wieder aus Verantwortung gegenüber den Kindern und Ihren Familien auf einen Arbeitskampf, wie er jetzt bundesweit stattfindet, nicht eingelassen haben.

Es schlagen also zwei Herzen in unserer Brust. Ein Herz schlägt für die Kinder und ihre Familien, ein anderes dafür, unsere berechtigten Forderungen durchzusetzen. Unser Streik der letzten Wochen kann nicht umsonst gewesen sein. Sie, die Eltern kennen uns. Sie wissen, was wir täglich vor Ort leisten. Sie vertrauen uns ihr kostbarstes Gut an, vertrauen auf unsere fachliche Kompetenz in allen Situationen. Sie wissen, dass ihre Kinder bei uns in guten Händen sind, dass wir ihnen Trost spenden, sie auffangen, mit ihnen lachen, sie fordern und fördern auf ihrem Weg ins Leben. Sie wissen auch, dass wir für Sie verlässliche Partner sind, die Ihnen nicht nur in Erziehungsfragen zur Seite stehen. Am schwersten ist es für Sie, der Herausforderung zu trotzen, keine Betreuung für Ihre Kinder zu haben und die Tage zu organisieren. Andere von Ihnen sind verzweifelt, da sie nicht wissen, wie sie die Zeit überbrücken sollen.

Diese Situation bedauern wir außerordentlich. Viele von Ihnen unterstützen uns in unserem Arbeitskampf durch Solidaritätsbekundungen auf unseren Unterschriftenlisten oder mit Aktionen. Es gibt Schreiben von Eltern an die kommunalen Arbeitgeber, die Bürgermeister.

Mit unserem Streik haben wir eine gesellschaftspolitische Diskussion losgetreten:

- Was sind Kinder und ihre Familien einem Land wie Deutschland wert?

- Was sind dieser Gesellschaft die Menschen wert, die Kindern hoch engagiert einen Ort zum sozialen und ganzheitlichen Lernen bieten?

- Was sind diejenigen wert, die in Kindertagesstätten und anderen sozialen Einrichtungen arbeiten und es somit ermöglichen, dass Eltern mit einem ruhigen Gefühl zur Arbeit können?

- Was ist es wert, dass sich Arbeitgeber auf Mitarbeiter_innen verlassen können, die ihre Kinder gut versorgt wissen?

- Was ist es dem Staat wert, dass er in seiner Vielfältigkeit nur reibungslos funktionieren kann, wenn das System „Sozial- und Erziehungsdienst“ funktioniert?

Nicht nur Banken, sondern auch wir sind systemrelevant! Wenn die Arbeitgeber sagen, wir hätten in den letzten sechs Jahren eine Lohnsteigerung von 33 % erhalten, dann verschweigen sie, dass Berufsanfängerinnen 2005 durch eine Überleitung in einen anderen Tarif bis zu 400,- € im Monat verloren haben. Erst in den Tarifverhandlungen 2009 ist es der Gewerkschaft gelungen, diese Ungerechtigkeit in der Bezahlung unserer jungen Kolleginnen und Kollegen auszugleichen. Nur wenn man diesen Ausgleich der Ungerechtigkeit mit den Lohnsteigerungen der normalen Lohnrunden für den öffentlichen Dienst addiert, nur dann errechnen sich diese propagierten 33% und das auch nur für Berufsanfängerinnen und Berufsanfänger.

Es gab jedoch keine Aufwertung - die wollen wir jetzt! Viele von Ihnen fragen sich „Worum geht es hier eigentlich?“ Zur Erklärung: Die Eingruppierung nach Tätigkeitsmerkmalen erfolgt für den Sozial- und Erziehungsdienst in der sogenannten S-Tabelle für den öffentlichen Dienst. In den letzten 25 Jahren hat sich Grundlegendes in unserem frühkindlichen Bildungssystem geändert. Der Kindergarten hat sich zur ganztägigen Bildungseinrichtung entwickelt. Aber die letzte Bewertung und Änderung der so genannten Tätigkeitsmerkmale erfolgte 1991, d.h. die Grundlage unserer heutigen Bezahlung sind Tätigkeiten, die vor fast 25 Jahren festgelegt worden sind.

Deshalb fordern wir jetzt eine Aufwertung der Berufe im Sozial- und Erziehungsdienst mit einer Neubewertung dieser Tätigkeitsmerkmale. Eine Erzieherin verdient in Hessen nach einer 5-jährigen Ausbildung nach sieben Jahren in Vollzeit-Berufstätigkeit 1727,88 €  netto. Das Durchschnitts-Netto-Einkommen in Deutschland lag 2013 zwischen 2048,- € und 2414,- €. Wenn davon gesprochen wird, dass wir eine Lohnerhöhung von durchschnittlich 10 % fordern, dann fordern wir den Anschluss an den Durchschnittsverdienst in Deutschland. In Deutschland verdienen Frauen immer noch bis zu 22 % weniger als Männer. Im Sozial- und Erziehungsdienst arbeiten über 95 % Frauen. Wären die Berufsfelder im Sozial– und Erziehungsdienst nicht die typischen Frauenberufe, hätten wir mit Sicherheit eine andere Entlohnung.

Ein typischer Frauenberuf könnte nun endlich Aufwertung erfahren und müsste nicht wie bisher ein Weg in die Altersarmut sein. Nur mit einem guten Tarifabschluss kann es gelingen künftig junge Menschen, auch Männer, für diese Berufe zu gewinnen. Seit Montag sind die Vereinigung kommunaler Arbeitgeber und ver.di wieder im Gespräch. Wir hoffen alle, dass sich die Arbeitgeber ihrer Verantwortung bewusst sind und ein annehmbares Ergebnis am Ende dieser Gespräche stehen wird. Bis es zu einem Ergebnis gekommen ist werden wir unseren Streik fortsetzen. Ein Aussetzen des Streikes würde von den Arbeitgebern als Zeichen der Schwäche und Resignation gewertet. Der bisherige Streik darf nicht umsonst gewesen sein, da er die Bewertung der Berufe im Sozial- und Erziehungsdienst für die nächsten Jahre prägt.

Liebe Bürgerinnen und Bürger, bieten Sie betroffenen Eltern in Ihrem Bekanntenkreis oder in Ihrer Nachbarschaft Unterstützung an, schaffen Sie Netzwerke o.ä.- Vieles ist möglich!

Liebe Arbeitgeber, unterstützen Sie Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in dieser schwierigen Situation. Auch Sie können Einfluss auf die Vereinigung kommunaler Arbeitgeber nehmen!

Liebe Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, melden Sie sich bei der VkA zu Wort, wie es schon einige von Ihnen getan haben und setzen Sie ein richtungsweisendes Signal - Sie haben den Einfluss – denn jede Gemeinde hat so viele Stimmen im Arbeitgeberverband, so viele Beschäftigte sie hat und wenn viele Stimmen zusammen kommen, reicht es irgendwann für eine Mehrheit!

Liebe Kinder und Eltern, wir bedanken uns ganz herzlich, dass Ihr solange durchhaltet. Wir wissen wie schwer das für Euch ist. Bitte haltet noch ein wenig mit uns gemeinsam aus.

Ihr habt uns bald wieder!

Die Streikenden aus Maintal"

Presserechtlich verantwortlich:
Heinz Gröning
Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di), Bezirk Hanau/Main-Kinzig
Am Freiheitsplatz 6, 63450 Hanau

Hinweis der Redaktion: Die Redaktion behält sich vor, Leserbriefe zu kürzen oder nicht zu publizieren. Online eingesandte Leserbriefe werden nicht direkt veröffentlicht, sondern zuerst von der Redaktion geprüft. Leserbriefe sind immer mit dem Namen und der Anschrift des Autors zu versehen und spiegeln die Meinung des oder der Autoren wider. Die E-Mail-Adresse zur Einsendung von Leserbriefen lautet Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!


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