Turnhallen und Zelte nur „absolute Notlösung“

Politik
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800.000 Menschen jährlich – so lautet die Prognose der Bundesregierung hinsichtlich der Entwicklung der Flüchtlingszahlen. Das wären doppelt so viele wie bisher, auch im Main-Kinzig-Kreis werden dann vermutlich bis zu 4.500 Menschen jährlich untergebracht werden müssen. Die Erste Kreisbeigeordnete Susanne Simmler (SPD), in der Kreisverwaltung auch für Migration und Integration zuständig, spricht von einer Herausforderung für alle, „aber keine Überforderung“. Eine Unterbringung in Turnhallen oder Zelten dürfte nur die „absolute Notlösung“ sein.



susannesimmler1Ist schon absehbar, wie sich dieser Anstieg der Flüchtlingszahlen auf den Main-Kinzig-Kreis auswirken wird?
Susanne Simmler: „Wir rechnen damit, dass nach der neuen Prognose auf das gesamte Jahr 2015 gerechnet zirka 4.500 Asylbewerber und Flüchtlinge in den Main-Kinzig-Kreis kommen, derzeit sind es zirka 2.800. Derzeit ist dies, gemessen an der Gesamtbevölkerung im Kreis, ein Anteil von 0,67 Prozent, bei 4.500 Asylbewerbern und Flüchtlingen wären es 1,1 Prozent.“

Wie ist die aktuelle kreisweite Entwicklung in diesem Jahr? Hat sich ein Anstieg bereits angedeutet?
Simmler: „Einen Anstieg konnte man erwarten, wenngleich die Anzahl nun doch noch höher ist, als selbst die Experten gedacht haben. Aber man braucht nur den Blick auf die besorgniserregende Entwicklung in den Kriegsgebieten im Nahen Osten zu lenken. Die Menschen verlieren gerade zu Hunderttausenden ihre Heimat und müssen Tod und Verfolgung fürchten. Es sind Familien, die Angehörige im Krieg verloren haben und für ihre Kinder eine sichere Zuflucht suchen. Es ist nur menschlich und verständlich, dass für sie Europa und Deutschland Zufluchtsorte mit Chancen auf einen Neuanfang darstellen. Wir, der Kreis, die Städte und Gemeinden und die Bürgerinnen und Bürger übernehmen Verantwortung. Es ist für alle eine Herausforderung, aber keine Überforderung.“

Landrat Joachim Arnold aus dem Wetteraukreis fordert, Asylbewerber aus den Westbalkanländern wie Albanien und Kosovo nicht mehr an die Kreise weiterzuleiten, weil die Anerkennungsquote nahezu bei null liege. Wie ist ihr Standpunkt?
Simmler: „Das Land Hessen setzt das bei den sicheren Herkunftsländern schon weitgehend so um. Aus Verwaltungssicht ist das auch nachvollziehbar. Jeder weitere Umzug und Zwischenaufenthalt, gerade für Familien, ist mit Anstrengungen und Hoffnungen verbunden, die dann manchmal durch die geringe Aussicht auf Anerkennung schwer zu rechtfertigen sind.“

Welche Rückmeldungen bekommen sie aus den Kommunen: Ist eine menschenwürdige Unterbringung weiterhin gewährleistet?
Simmler: „Ja. Natürlich hat jede Kommune hier eine Herausforderung zu meistern, Unterbringungen in ausreichender Zahl bereitzustellen. Aber dessen ungeachtet: Bei der Wahl der Wohnungen wie auch beim Umfang der Betreuung der Menschen gilt für alle Verantwortlichen der Grundsatz, die Menschenwürde zu wahren. Wir als Main-Kinzig-Kreis beschreiten gemeinsam mit den Städten und Gemeinden den Weg der dezentralen Unterbringung seit vielen Jahren erfolgreich.“

Müssen auch im Main-Kinzig-Kreis bald Flüchtlinge in Turnhallen untergebracht werden? Oder drohen gar Zeltstädte wie bereits in einigen Regionen Deutschlands?
Simmler: „Darauf deutet derzeit nichts hin.  Wir stehen im engen Austausch mit den Städten und Gemeinden und berücksichtigen, dass sie alle ihr Möglichstes unternehmen, um Wohnungen und Häuser für die Flüchtlinge bereitzustellen. Dass muss sicher weiter intensiviert werden. Alle müssen mit anpacken und auch bereit sein, neue Wege zu gehen. Im Winter weihen wir den Erweiterungsbau auf Hof Reith ein, um auch hier eine größere Kapazität unsererseits vorzuhalten. Dieser Neubau dient den Kommunen als Puffer, damit sie bei der Wohnungssuche mehr Zeit haben. Denkbar sind sicher auch Unterkünfte in Schnellbauweise, die von Wohnungsbaugenossenschaften errichtet werden könnten. Turnhallen und Zelte dürfen nur die absolute Notlösung sein. Deshalb tun wir auch einiges, um uns vorzubereiten.“

Von fremdenfeindlichen Äußerungen im Kreisgebiet ist bisher nichts bekannt. Befürchten Sie, dass sich das angesichts der höheren Flüchtlingszahlen ändern könnte?
Simmler: „Im Main-Kinzig-Kreis erleben wir gerade eine einzigartige ehrenamtliche Hilfsbereitschaft, für die wir alle sehr dankbar sind. Es lassen sich die vielen Runden Tische und Privatinitiativen kaum zählen, die alleine in den letzten zwölf Monaten ins Leben gerufen wurden. Hinzukommen die Vereine, die ihre Angebote im sportlichen und kulturellen Bereich für Migranten öffnen. Das sind starke Zeichen dafür, dass die Bürgerinnen und Bürger Verständnis für die persönlichen Schicksale und für die derzeitige Situation der Asylbewerber und Flüchtlinge haben. Aggressive Töne hört und liest man nur von wenigen Menschen.  Allerdings ist auch klar, dass es eine gemeinsame gesellschaftliche Anstrengung ist. Es ist unser aller Aufgabe als Zivilgesellschaft, möglicher Weise aufkommenden ‚Stammtischparolen‘  die Stirn zu bieten. Wir alle sind gefordert, nicht zuzulassen, dass ausländerfeindliches  Gedankengut hinter mehr oder weniger vorgehaltener Hand um sich greift und nach dem Motto: ‚Man darf doch mal die Wahrheit sagen‘ verharmlost wird. Deswegen müssen wir die Menschen auch integrieren, ihnen die Wege in die Vereine und in den Arbeitsmarkt erleichtern. Menschen, die im Ort bekannt sind und dazugehören, sind der beste Weg, solche Tendenzen erst gar nicht aufkommen zu lassen.“


Ihnen ist etwas Interessantes aufgefallen im Main-Kinzig-Kreis? Schreiben Sie uns an info@vorsprung-online.de


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