Inklusion: Übergänge vor dem Scheitern

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"Inklusion von Schülern in Hanau und im Main-Kinzig-Kreis – Übergänge vor dem Scheitern", heißt es in einem Brief vom "Netzwerke Inklusion Hanau und Main-Kinzig-Kreis" an den hessischen Kultusminister Prof. Dr. R. Alexander Lorz.



Sehr geehrter Herr Kulturminister Lorz,

das Problem des Übergangs von der Grundschule in die weiterführende Schule für Kinder mit Förderbedarf besteht nicht nur in Frankfurt, wie man der Presse entnehmen kann, sondern auch in Hanau und dem Main-Kinzig-Kreis. Wir, eine Elterninitiative, deren Kinder mit sonderpädagogischen Förderbedarf eine inklusive Grundschule (Privatschule) besuchen, versuchen bereits seit zweieinhalb Jahren einen geregelten Übergang in weiterführende Schulen zu erwirken. Bereits 2014 wurden alle Schulen in Hanau und der näheren Umgebung angeschrieben, um auf den anstehenden Übergang von mindestens 10 Schülern mit sonderpädagogischen Förderbedarf der inklusiven Grundschule in Hanau zum Schuljahr 2017/18 hinzuweisen. Hierbei fanden Gespräche mit weiterführenden Schulen sowie dem staatlichen Schulamt statt. Leider waren alle diese Bemühungen erfolglos. Für viele der betroffenen Kinder steht jetzt, kurz vor Ende ihrer Grundschulzeit, noch nicht fest wo sie im August in die fünfte Klasse gehen dürfen. So gibt es hier zum Beispiel eine Gruppe von fünf Kindern, die derzeit gemeinsam inklusiv in einer vierten Klasse unterrichtet werden. (Die Namen wurden geändert)

Die kleine Lisa hat Trisomie 21, auch als Down-Syndrom bekannt. Sie ist ein fröhliches aufgeschlossenes Mädchen und kann bereits im Zahlenraum bis zehn rechnen. Auch Jens hat das Down-Syndrom, er liebt es zu schauspielern und auf der Bühne zu stehen. Tom ist als Frühgeburt einfach nur zu klein und viel langsamer als alle. Er spielt Fußball, schwimmt wie ein Fisch und hat lesen gelernt. Lars ist Toms bester Freund. Die beiden treffen sich mit anderen Kindern ohne Beeinträchtigung fast jeden Nachmittag, um gemeinsam Fußball zu spielen. Auch Lars hat eine Beeinträchtigung - einen genetischen Defekt. Hendrik, ist im Rollstuhl beobachtet aber mit großem Interesse seine Mitschüler und kommuniziert mit einem augengesteuertem Kommunikationsgerät. Jannes hat ein sehr seltene Stoffwechselerkrankung und kann sich nur durch einen Talker verständigen. Alle werden derzeit inklusiv beschult. Nun, nach vier Jahren gemeinsamer Schulzeit ist diese Zeit vorbei. Freundschaften werden aufgelöst, aufgebaute Betreuungskonzepte der Eltern zerstört. Lisa, Hendrik und Lars dürfen wahrscheinlich, auf eine integrierte Gesamtschule an ihrem Wohnort gehen.  Über dem Ganzen schwebt jedoch das Damoklesschwert – der noch durchzuführende Förderausschuss – durch ihn kann der inklusive Schulbesuch immer noch verwehrt werden. Ob die drei dann auch letztendlich gemeinsam in einer Klasse unterrichtet werden oder als Einzelintegration in verschiedenen Klasen enden, bleibt abzuwarten.

Für Tom, Jens und Jannes ist hier kein Platz, obwohl sie nur wenige Kilometer von dieser Schule entfernt wohnen. Grund dafür seien bestehende Schulbezirksgrenzen. Die Eltern von Jannes haben sich daher für eine Förderschule entschieden, nicht weil sie es wollten, sondern einfach wegen der mangelnden Alternativen. Jens und Toms Eltern hoffen immer noch auf ein Wunder, um ihren Kindern zum einen eine Einzelintegration, einen langen Schulweg in eine weiter entfernte Schule oder eine Förderschule zu ersparen. Können sie ihre Kinder ebenfalls in die Schule bringen, wo auch - aller Voraussicht nach - ihre Freunde inklusiv beschult werden? Entsprechende Widersprüche wurden eingereicht und liegen dem staatlichen Schulamt vor. 
Desweitern sind z.B. vier Wochen vor Ferienbeginn die notwendigen Förderausschüsse, deren Durchführung vorgeschrieben ist, immer noch nicht terminiert. Welchen zeitlichen Rahmen des Widerspruchs haben dann die Eltern? Oder wird es so knapp terminiert, um den Eltern diese Option zu verwehren, sie sich doch für die Förderschule entscheiden, um ihren Kindern diese Unsicherheit zu ersparen? Keine schöne Situation für Familien, die Ferien in der Ungewissheit zu verbringen, welchen Bescheid sie letztendlich erhalten, dem eigenen Kind keine sichere Auskunft geben zu können.

Der Main-Kinzig-Kreis sowie Hanau sind seit dem Schuljahr 2015/2016 Modellregion für Inklusive Bildung. In der Kooperationsvereinbarung zwischen dem Land Hessen und dem Main-Kinzig-Kreis in § 1 Absatz 1 steht explizit im ersten Satz, dass die Modellregion sich dadurch auszeichnet, dass sie inklusive Bildungsangebote für die gesamte Schülerschaft und somit auch für alle Förderschwerpunkte vorhalte. So sollen inklusive Bildungsangebote, die dem Bedarf aller Schülerinnen und Schüler angepasst sind, entwickelt werden (§1 Abs.1). Des Weiteren steht in der Vereinbarung, dass die Umsetzung der Modellregion unter Einbeziehung insbesondere von Elternvertretern und Vertretern der Wissenschaft geschehen soll (verl. §7 Abs. 1). Davon haben wir leider nichts gemerkt, bzw. wurden wir strikt abgelehnt, mit dem Verweis, dass dafür die Schulleitungen zuständig sind. Hier dürfen wir auch auf Ihr Schreiben vom 20.02.2017 an das Netzwerk Inklusion Hanau und Main-Kinzig-Kreis verweisen in dem Sie, wir zitieren, schreiben:“…Die inklusive Beschulung ist gesetzlich die Regelform. Die sonderpädagogischen Ressourcen fließen mittlerweilen überwiegend an die allgemeine Schule. Auch dies ist ein Erfolg der Modellregion inklusive Bildung und der Akteurinnen und Akteure vor Ort.“ Anhand der zuvor geschilderten Beispielen der betroffenen SchülerInnen können wir dies leider nicht wahrnehmen und bezeichnen Ihre Aussage als nicht zutreffend.

Wir als Eltern und das Netzwerk Inklusion Hanau und Main-Kinzig-Kreis fordern eine umgehende, klare und strukturierte Umsetzung der UN Konvention zur Inklusion und fordern alle Beteiligten auf, gemeinsam an diesem Ziel zu arbeiten. Für unsere Kinder wird es wahrscheinlich zu spät sein. Aber bereits im nächsten Schuljahr steht der nächste Übergang von der Grundschule in die weiterführende Schule an - durch unser Wirken möchten wir wenigstens den dann betroffenen Kindern einen besseren Übergang ermöglichen. Die Regelschulfreunde unserer Kinder wissen alle schon, in welche Schule sie nach den Sommerferien gehen werden und freuen sich darauf – unsere Kinder noch nicht!

Diese Situation ist nicht länger hinnehmbar! In Erwartung Ihrer Stellungnahme verbleiben wir mit freundlichem Gruß

Dr. Andrea Bauer und Silvia Brand für das Netzwerk Inklusion Hanau und Main-Kinzig-Kreis

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