Kriminalisierung der Klimaaktivisten: Offener Brief an Bundeskanzler Scholz

"Sehr geehrter Herr Bundeskanzler! Wie war noch Ihr Versprechen auf den Wahlplakaten? Klimakanzler? Und als Klimakanzler diffamieren Sie Menschen, die sich mit Leib und authentischer Überzeugung für die Abwendung wenigstens der schlimmsten Klimakatastrophen einsetzen als 'völlig bekloppt'? Wie war das noch: 'Wer bei mir Führung bestellt, muss wissen, dass er sie dann auch bekommt.' Die wäre wirklich wünschenswert angesichts eines Verkehrsministers, der Vereinbarungen auf EU-Ebene über Produktion von Verbrenner-Autos wieder einkassiert; angesichts einer kleinen Partei, die leicht umzusetzende klimaschützende Maßnahmen bockig und entgegen wissenschaftlich belegter Fakten verhindert. Stattdessen Menschen, die sich unter Gefährdung ihrer beruflichen Karrieren offen und eindeutig für ihre zukünftige Lebenswelt einsetzen, abwatschen?

Herr Bundeskanzler, als berufserfahrene Psychologische Psychotherapeut*innen haben wir uns in zahlreichen Beratungen und Begegnungen mit Klimaaktivist*innen davon überzeugen können, dass wir es mit friedlich gesinnten, fachlich sehr versierten Menschen zu tun haben, die sich existenzielle Sorgen um ihre Zukunft machen und bemerken, dass Ihre Regierung leider ständig die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2021, die genau deren Zukunft im Blick hat, verletzt. Sie haben erkannt, dass Klimaaktivist*innen sich jahrzehntelang durch Veröffentlichen wissenschaftlicher Fakten, Demonstrationen und Appelle vergeblich um Einhalten der völkerrechtlich bindenden 1,5 Grad-Grenze bemüht haben, die ja an sich schon eine enorme Belastung darstellen würde.

Wir sind jetzt mitten in den sozial-ökologischen Krisen angekommen, die 1972 vom Club of Rome anhand wissenschaftlicher Daten berechnet wurden - für das Jahr 2040. Damals war 2040 noch weit weg, jetzt wird die Zeit knapp und die verzweifelten Aktionen der Letzten Generation hören nicht auf, zu mahnen, die knappe Zeit, die uns noch bleibt, endlich konsequent zu nutzen!

In Italien, Spanien und auch schon in Deutschland erleben wir die Kombination aus Dürre und Extremregen mit katastrophalen Folgen (siehe Ahrtal) bereits jetzt – und wir sind immer noch nicht dabei, das Notwendige zu tun, um endlich die planetaren Grenzen menschlichen Überlebens einzuhalten. Verzögerungsdiskurse dominieren die Medien: 'nicht jetzt', 'nicht so', 'wir haben noch 101 Fragen', 'es ist doch ohnehin zu spät' sind die Botschaften, die uns aus eben jener Politik entgegenschallen, die eigentlich doch die Lösungen umsetzen müsste, die wir schon haben. Wo bleiben Sie da als „Klimakanzler“? Wo bleibt Ihre 'Führung' gegenüber einem kleinen Koalitionspartner, der hoffnungsvolle Ansätze ständig ausbremst? Berichte der Bundesärztekammer und von Krankenkassen weisen seit Jahren auf die zunehmende Anzahl von Hitzetoten hin, nicht nur bei Menschen über 65, sondern auch bei Babys, Kleinkindern, Schwangeren, chronisch Kranken. Sie werden sich prognostisch vervielfachen. Als Psychotherapeut*innen können wir Ihnen Studien nennen, die belegen, dass psychische Erkrankungen wie Depressionen, Traumatisierungen und Psychosen unter anderem durch Hitze und Angst vor der Zukunft bereits zugenommen haben und zukünftig exponentiell zunehmen werden. Bei einer Gesellschaft, die heute schon über Arbeitskräftemangel, steigenden Belastungen für Krankenkassen und Pflegepersonal ächzt! Wer radikale Sprüche verbreitet, wird radikale Reaktionen hervorrufen. Eine Generalstaatsanwaltschaft, die morgens lautstark verkündet, die Letzte Generation sei eine kriminelle Vereinigung, Spenden an diese seien illegal und die Homepage sei gesperrt worden, sich dann bereits am Nachmittag korrigieren muss auf den einzig zulässigen Satz, die Homepage sei gesperrt worden, macht sich lächerlich, hat aber Aussagen in die Welt gesetzt, die nicht so einfach wieder einzuholen sind.

Herr Bundeskanzler: wir, Psycholog*innen und Psychotherapeut*innen der Psychologists & Psychotherapists for Future, sagen Ja zu Sicherheit, Gesundheit und Demokratie. Und genau deswegen sagen wir Ja zu den Botschaften der Letzten Generation, die uns immer wieder daran erinnern muss, weil es so viele Menschen im Alltag immer wieder vergessen, dass wir nicht nur der größten Gesundheitsbedrohung dieses Jahrhunderts gegenüberstehen. Wenn die internationale Politik nicht sehr schnell effektiv gegen den Klimawandel vorgehen wird, werden viele Länder und Landstriche – insbesondere im globalen Süden – unbewohnbar, was dort zu Massensterben sowie zu Migrationsbewegungen unvorstellbaren Ausmaßes in den Norden führen wird. Mit all den politischen, sozialen und kulturellen Folgen, die solche Verwerfungen nach sich ziehen. Deshalb abschließend eine dringende Bitte an Sie: Erinnern Sie sich auch in Sachen Schutz des Klimas und Erhalt der Lebensgrundlagen für alle, insbesondere die Nachkommenden, an Ihren Amtseid und übernehmen die notwendige, wenn auch manchmal konfliktbehaftete Verantwortung für das Wohlergehen der Bürger*innen dieses Landes."

Dirk Wehrsig für die Psychologists & Psychotherapists for Future e.V.
Gelnhausen

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