Müssen behinderte Kinder unter sich sein, damit sie richtig gefördert werden können?

Leserbriefe
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Die Beschulung von Kindern mit Handicap thematisiert VORSPRUNG-Leserin Yvonne Chaluppa in ihrem Leserbrief.



"Müssen behinderte Kinder unter sich sein, damit sie richtig gefördert werden können? Diese Frage dürfte momentan viele beschäftigen, die den Aufschrei der Medien und verschiedener Institutionen vernahmen, als Herr Höcke von der AfD in einem Interview verkündete, dass er der Meinung ist, dass behinderte Kinder nicht in Regelschulen unterrichtet werden sollten. Unter dem 'Deckmantel' der Förderung wurde es so verpackt, als wolle man den Kindern nur etwas Gutes tun, wenn man sie in entsprechenden Einrichtungen separat unterrichtet.

Ich frage mich, ob Herr Höcke überhaupt schon einmal eine Förderschule von innen gesehen hat. Förderschulen haben ein großartiges Konzept. Sie geben oft schwerstbehinderten Menschen einen festen Tagesablauf und Struktur für den Alltag. Den Angehörigen ermöglichen sie dadurch, arbeiten zu gehen, oder auch mal ein paar Stunden für sich zu haben, um mal Luft holen zu können. Allerdings landen hier schon jetzt vereinzelt Schüler, die dort eigentlich unterfordert sind. Kinder, die mit einer Schulbegleitung als Unterstützung den normalen Alltag einer Schule schaffen könnten, einen Abschluss machen und so auch später dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen könnten. Was man diesen Kindern antut, die dann erst über Umwege, Maßnahmen etc. später in den Beruf finden, sind 'Einzelschicksale', die kaum jemand mitbekommt. Aber sollten nicht alle Kinder die selben Chancen/Voraussetzungen haben? Oder sind nur alle Menschen gleich, wenn sie 'normal' sind?

Sicher, es mag Kinder geben, die integrativ beschult werden, obwohl sie dem normalen Unterricht nicht folgen können. Am Rande des Klassenraumes sitzen sie meist mit einer Schulbegleitung und bearbeiten eigenes Material. Besonders integrativ ist dies nicht. Dennoch nehmen die Kinder durch die 1 zu 1 -Lernsituation mehr mit als in einer Förderschule.

Wenn die Menschen hören, dass Kinder „behindert“ sind, haben sie oft das Bild von Extremfällen im Kopf. Aber es gibt nun mal unterschiedliche Einschränkungen und auch unterschiedliche Ausprägungen. So kann ein Autist in Kombination mit anderen Krankheiten auch mal schnell zu 70 oder 80 Prozent behindert sein aber dennoch gut in der Schule mitkommen. Ein Kind, dass gelähmt im Rollstuhl sitzt, kann dennoch einen wachen Geist haben. Warum sollte man diese Kinder nun in eine Förderschule schicken? Weil sie laut Ausweis behindert sind? Weil sie dort besser gefördert werden könnten? In einer Schule, in der nur ein Bruchteil des Lehrstoffes einer Regelschule vermittelt wird? Die mehr darauf ausgelegt ist, dass die Kinder später selbstständig leben können? An sich absolut nötig und selbstverständlich nicht verwerflich aber für manches Kind einfach zu wenig. Wir müssen endlich aufhören Kinder in Schubladen stecken zu wollen und sie individuell betrachten. Das forderten schon Reformpädagogen weit vor der heutigen Zeit und dennoch bekommen wir es bis heute nicht hin, dem zu entsprechen.

Es ist auch nicht so, dass eine Lehrkraft alles allein stemmen müsste, wenn ein Kind mit Einschränkungen in der Klasse ist. Je nach Art der Einschränkung kommt eine Schulassistenz und eventuell noch eine Förderlehrkraft für mehrere Stunden in der Woche hinzu. Es bedeutet natürlich dennoch mehr Aufwand aber anstatt zu überlegen, wie man den Aufwand an sich geringer gestalten könnte, wäre es doch besser eine Lösung für zusätzliche Unterstützung zu finden. Also nicht den 'Service' der Integration einschränken, sondern verbessern oder weiterentwickeln. Warum müssen Eltern zum Beispiel so für Schulbegleitungen kämpfen? Und das in oft klaren Fällen. Warum hat nicht jede Lehrkraft eine Assistenzkraft, die sie im Lehralltag unterstützt? So bliebe mehr Zeit für zu klärende Fragen der Kinder und den Schulstoff selbst. Zwei Kräfte kontrollieren schneller die Hausaufgaben oder können bei der Stillarbeit besser unterstützend einwirken. Man hätte nicht nur eine Lehrkraft, die gehetzt von Platz zu Platz sprinten muss. 

Das Konzept der Ganztagesschulen (nur als Beispiel) bis etwa 16 Uhr wäre z. B. auch eine Alternative. Hier könnten in Ruhe und mit Geduld vormittags bildende Fächer gegeben werden und am Nachmittag musische- künstlerische und sportliche Fächer. Der Schlüssel für bessere Schulbildung heißt nicht Separierung, sondern Zeit und Personal! Also lasst Euch endlich einfallen, wie wir schneller Lehrkräfte ausbilden und Quereinsteiger qualifizieren und hört auf die Schuldigen von schlechten Pisa-Studien etc. in Kindern mit körperlichen oder geistigen Einschränkungen zu suchen, die angeblich ausbremsen oder gar stören! Jedes Kind hat von Natur aus eine gegebene Neugier an Umwelt und Lernen, wir müssen sie zum Vorschein bringen und Lernkonzepte überarbeiten. Vor allem dürfen wir aber die kindliche Neugierde nicht im Keim ersticken, indem wir Kinder in Schubladen pressen, in die sie nicht hineinpassen."

Yvonne Chaluppa
Langenselbold

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