Puppendoktor Günter Geier geht in den Ruhestand

Bad Orb
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Als einer der letzten Puppendoktoren hat sich der in Seußling bei Bamberg wohnende Günter Geier über Jahrzehnte einen Namen in ganz Deutschland gemacht, auch in Bad Orb war er oft zu Gast. Nun ist er mit 56 "Dienstjahren", 78-Jährig, in den "verspäteten" Ruhestand gegangen. Seine Frau Ute ist 20 Jahre jünger und kann noch einige Jahre den aussterbenden Beruf weiterführen, war sie doch immer die Assistenzärztin gewesen.



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Nach Bad Orb in die Konzerthalle kommt sie am 30. Mai von 10 bis 17 Uhr und "heilt" alle Puppen und Teddys vor Ort. "Es wird das letzte Mal sein, denn ich habe noch eine andere Arbeit, bin schon 20 Jahre als 'Springerin' im Fotogeschäft tätig", teilt sie allerdings mit.

Im fernen Ex-Jugoslawien kennen die Menschen Günter Geier in einer ganz anderen Mission. Dort geht es seit den Balkankriegen um wirkliche Schäden an Leib und Seele. Doch auch in diesen Fällen wusste er zu helfen. Mit viel Unterstützung von außen, eigenem Enthusiasmus, Einfallsreichtum und manchmal nicht ganz konventionellen Methoden, hat er hier wie dort ein Netzwerk aufgebaut, dass er nun schweren Herzens hinter sich lassen muss. „Ich könnte noch viele solcher Geschichten erzählen.“ Als Günter Geier das letzte von einem ganzen Stapel an Photoalben zuschlägt, ist ein Schmunzeln auf seinem Gesicht zu erkennen. Über mehrere Stunden hat der bescheiden lebende Helfer in Not von Anekdoten, glücklichen, aber auch unglücklichen Begebenheiten während seiner vielen Reisen in ferne Gefilde erzählt. Den fröhlichen Erinnerungen mischen sich jedoch immer wieder schmerzvolle Szenerien bei. Es ist ein bunt zusammengesetztes Kaleidoskop aus einzelnen Ereignisse und nicht immer ganz ungefährlichen Aktionen, die ihn nachhaltig bewegen und die er wohl für den Rest seines Lebens nicht mehr vergessen wird.

Ein beschaulicher Abend Anfang der 90er Jahre: Über das Fernsehen erfahren Günter Geier und seine Frau Ute, die sich schon zuvor bei „Aktion Sorgenkind“ und „Krebshilfe Jena“ engagiert hatten, von den schlimmen Zuständen rund 1000 Kilometer von der eigenen Heimat entfernt. Sofort
war klar: Hier muss geholfen werden! Von da an traten neben dem Kinderspielzeug, das er mit Passion repariert, einmal mehr die Kinder selbst in den Fokus seines Lebens. Ihnen, die weder Schuld an ethnischen Konflikten, noch am kriegerischen Treiben der einzelnen Gruppen trugen, musste geholfen werden. Die Medien hatten ihm die Lage der Kleinen näher gebracht – von Anfang an waren sie nun auch federführend dabei, um seine Hilfsaktionen, die er strikt von seiner beruflichen Tätigkeit zu trennen wusste, publik zu machen. Angefangen von einem ersten Spendenaufruf, der schon einen ganzen LKW an Gütern zusammenbrachte, sei das im Laufe der Jahre immer mehr geworden. Namhafte Bamberger Unternehmen, Institutionen wie „Ein Herz für Kinder“ und auch einzelne Personen, die im Schutze der Anonymität bis in die Gegenwart immens große Summen für den guten Zweck gespendet haben, gesellten sich dazu. Oftmals haben die zur Verfügung gestellten Hilfsgüter nicht nur die gesamte Garage seines kleinen Anwesens in Beschlag genommen. Auch im Keller, im Wohnraum und in zahlreichen Nachbargebäuden stapelten sich unentwegt Lebensmittel, Waschmaschinen und sonstige dringend benötigte Gegenstände. Viel Logistik war hier erforderlich, erklärt Geier den wochenlangen Aufwand hinter einem solchen Vorhaben, das ihn in gezählten Kilometern gut fünfmal um die Erde geführt hat. Und mit dem Verladen und Abfahren in Richtung Ex-Jugoslawien sei noch lange nicht alles in trockenen Tüchern gewesen. Mit bis zu drei Sattelschleppern hat er sich dann mehrmals im Jahr aufgemacht.

Reibungslos verlief das allerdings nicht immer. „Einfach runterbringen, ausladen und wieder nach Hause fahren, das geht nicht“, immer wieder sei er unterwegs nicht nur auf Hindernisse gestoßen, sondern konnte durch so manchen Zufall auch außerplanmäßige Spenden mit in das Krisengebiet nehmen. So habe er vor vielen Jahren – mitten im Krieg – beim Zoll eine ganze Ladung Hemden entdeckt, die vorschriftsgemäß verbrannt werden sollten. Ein Unding, erinnert er sich noch heute kopfschüttelnd. Einige hartnäckige Telefonate und Besuche später, konnte er das Blatt aber doch noch wenden. 17 Heime wurden daraufhin persönlich mit den Textilien versorgt. Denn: „Einfach runterbringen, ausladen und wieder nach Hause fahren, das geht nicht“, betont er nachhaltig. „Man muss das schon gerecht verteilen.“ Und das gehe eben am besten durch eigenes Anfahren – mitten hinein ins Kriegsgebiet.

Ein Schutzengel sei aber immer mit an Bord gewesen, resümiert er heute erleichtert. Denn brenzlig war es nicht nur einmal. Manchmal habe er nicht daran geglaubt, unversehrt nach Hause zurückzukehren. Besonders dramatisch war zum Beispiel das Zurückbringen eines kleinen sechsjährigen Jungens. Eines Tages sei dessen Mutter plötzlich vor seiner Tür gestanden, erzählt er. Durch das Schicksal des kleinen Aki, den Geier in letzter Minute ebenfalls aus dem Krisengebiet geholt hatte, erfuhr sie von dem mutigen Mann, der sich selbst so gar nicht als Held betrachten will. Noch vor Kriegsausbruch war die Frau nach Deutschland gereist. Hier musste sie dann feststellen, dass mittlerweile der Krieg ausgebrochen war, der eine Rückkehr in ihre Heimat unmöglich gemacht hatte. Das Internationale Rote Kreuz konnte ihren Sohn ausfindig machen und nun fackelte auch Günter Geier nicht lange. Schnell wurde ein Leihwagen organisiert und ab ging die 19-stündige Fahrt nach Bosnien. Die Angst habe ihn stets begleitet, gesteht er offen. Oftmals musste er schmieren, diverse Tricks anwenden, blickte in den Lauf von Maschinenpistolen oder sah schrecklich verstümmelte Leichen am Wegesrand - nicht nur während dieser Fahrt. Anmerken ließ sich der resolute Mann den Schrecken über so viel Grauen nicht. Wohlbehalten hat er das Kind nach Franken gebracht und wieder mit seiner Mutter zusammengeführt. Gehört hat er allerdings nie wieder von den beiden. Ganz im Gegensatz zu Aki, der heute noch in Bamberg lebt und arbeitet und der ebenso wie seine Mutter kostenlos von Prof. Dr. Schellerer behandelt wurde.

Günstige Fügungen und Mund zu Mund-Propaganda

Neben vielen bedrückenden Momenten, hat er aber auch grenzenlose Freude erlebt. Ganze Röntgen- und Ultraschallgeräte des Bamberger Arztes Dr. Rainer Gerstner haben ihren Weg in die Ferne gefunden. Ein Kleinbus zum Transport der Schulkinder wurde ebenso gespendet wie Komplett-Ausstattungen für die Erste Heilige Kommunion. Nicht nur einmal wurde Geier dabei auf seinen Fahrten, während denen er Werte um die sechs Millionen Euro bewegt hat, begleitet. Spontane Hilfe, wie das neue Eindecken eines Waisenhausdaches durch Hirschaider und Seußlinger Firmen, die für ein Wochenende ins Krisengebiet gefahren waren, kamen zustande wie rauschende Kinderfeste, die bunte Farben in den tristen Kriegsalltag gebracht haben. Oftmals halfen pure Zufälle, günstige Fügungen und Mund zu Mund-Propaganda, die Geier und sein verantwortungsvolles wie umsichtiges Handeln weiter trugen und ihm Wohlgesonnene zur Seite stellten, die ihn über viele Jahre begleiteten und grenzenloses Vertrauen in sein Tun legten. „Schön waren die strahlenden Kinderaugen, die man gesehen hat, wenn sie etwas bekamen“, beschreibt er die vielen tollen Momente, wenn er zum Beispiel frische Kiwis oder andere Leckereien, die er stets persönlich auf deren Qualität prüfte, aus den LKWs auslud. Sie waren wahre Leuchttürme: Denn meist herrschte eine bedrückte Stimmung bis hin zur Apathie, eingebettet in eine triste und völlig zerstörte Umgebung.

Glaubt er daran, dass sich die Konflikte im ehemaligen Jugoslawien jemals beruhigen werden? Nein, der Hass, der historisch gewachsen sei, ist einfach zu groß, stellt er nüchtern fest. Zwar normalisiere sich die Lage in weiten Teilen. Einige Heime existierten schon gar nicht mehr. Die Not jedoch bleibt bestehen. Nach wie vor sei gerade die Korruption eines der größten Probleme. Verändern könne man die Situation von außen nicht. Deswegen aufgeben, das kam allerdings nicht in Frage: Auf Sinnsuche habe er sich nie befunden. „Ich lebe, um zu leben“, fasst Geier zusammen. Viel brauche er nicht. Er, der als Kriegskind selbst Schlimmes erlebt hat, gibt es lieber weiter. Bescheiden ist er also nach wie vor geblieben. Ehrungen von großen Institutionen lehnt er seit Jahren vehement ab. Er, so sagt er immer wieder, habe schließlich nur gesammelt. Vor Nikolaus 2009 hat Geier, der auch erkrankt und mit fast 70 vor Energie nur so strotzt, nun seine letzte Fahrt absolviert. Die Spendenbereitschaft seiner Verbündeten bleibe jedoch bestehen. Ganz aufhören werde er auch mit seiner humanitären Hilfe sicher nicht. Zunächst stehe jetzt erst einmal die eigene Gesundheit im Vordergrund. Was folgen wird, das wisse er zum jetzigen Zeitpunkt nicht. Was zunächst allerdings bleibt, ist der grenzenlose Dank, den er allen Helfern aussprechen möchte. Denn der gehört unbedingt dazu. Auch seine Frau, ohne die das alles nicht möglich gewesen wäre, wolle er hier nicht ausschließen. Nicht nur einmal war er überrascht über so viel Hilfsbereitschaft und persönlichen Einsatz. Und es bleibt zu hoffen, dass das Interesse für dieses mittlerweile fast vergessene Fleckchen Erde auch über sein Engagement hinaus bestehen bleibt.

Foto: Günter Geiers Frau Ute – Ein Dank möchte er auch ihr aussprechen. Denn ohne sie wären so viele Fahrten nicht möglich gewesen. Photo: privat


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