250 Jahre Industrialisierung zwischen Vogelsberg und Spessart

Brachttal
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Seit den 70er Jahren sammelt Klaus-Dietrich Keßler „Waechtersbacher Keramik“.

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„Steingut war das Porzellan des kleines Mannes, das mit einfachen Stoffen wie Ton und Sand hergestellt wurde“, berichtet er von der Faszination, die die bunten Keramikgefäße auf ihn ausüben. Tausende Teller, Tassen, Aufbewahrungsdosen, Vasen und andere Behältnisse, die ab 1834 in Brachttal- Schlierbach produziert worden sind, nennt er heute sein Eigen. Gemeinsam mit  Ehefrau Marlies hat Keßler im Jahr 2003 das Keramik-Museum „Lindenhof“ in Brachttal-Streitberg eröffnet, das die Erzeugnisse der „Waechtersbacher Keramik“ liebevoll präsentiert und seinen Besuchern die Historie der in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg mit rund 700 Mitarbeitern größten industriellen Produktionsstätte zwischen Hanau und Fulda näher bringt. Landratskandidat Thorsten Stolz zeigt sich beim Museumsbesuch beeindruckt von der Ausstellung, von den vielen Geschichten und Anekdoten rund um die „Keramik“ und von dem großen Engagement, mit dem die Keßlers die Erinnerung an den Traditionsbetrieb pflegen, der im Jahr 2011 seine Produktion eingestellt hat.

Im Jahr 1993 sind sie nach Streitberg in den alten „Lohrei-Hof“ gezogen, ein über 200 Jahre altes Bauerngehöft, das auf mittelalterlichen Fundamenten errichtet wurde, erzählen die Museumsmacher. Mit viel Sorgfalt, Detailverliebtheit und dem richtigen Blick für das, was es zu Erhalten gilt, renovierten sie den Hof und eröffneten ein knappes Jahrzehnt später in der zum Anwesen gehörenden alten Fachwerkscheune das Keramik-Museum. Die Dauerausstellung zeigt einen Querschnitt durch die Produktion der Wächtersbacher Steingutfabrik von den Anfängen bis zum Beginn der 50er Jahre. In einem separaten Küchenhaus präsentieren Keßlers zudem eine Original-Küche, die um das Jahr 1900 in der Möbelfabrik Eisenhammer hergestellt wurde. Außerdem baute Klaus-Dietrich Keßler ein Silo um, in dem buntes Wächtersbacher Steingut aus der Zeit von 1920 bis 1950 zu sehen ist.

Landratskandidat Thorsten Stolz interessiert sich bei seinem Besuch im „Lindenhof“ besonders für den Stand des Projekts „Industriekultur Steingut – 250 Jahre Industrialisierung zwischen Vogelsberg und Spessart“. Mit Unterstützung der Kommunen Birstein und Wächtersbach, des Main-Kinzig-Kreises, der „KulturRegion Frankfurt-RheinMain“ und „Spessart regional“ soll die große Identifikation der Bevölkerung mit der alten Fabrik in Schlierbach bewahrt, dokumentiert, präsentiert und zur Stärkung des Tourismus genutzt werden. Weil Teile des alten Fabrikkomplexes der „Waechtersbacher Keramik“ leerstehen und sich Keßlers sowie ein weiterer Sammler bereit erklärten, ihre Sammlungen in eine öffentliche Stiftung zu überführen, entstand die Idee, direkt an der ehemaligen Produktionsstätte in Schlierbach ein Museum zu schaffen. „Der aktuelle Besitzer bietet die Gebäude zum Verkauf an, da gab es bereits Gespräche“, berichtet Klaus-Dietrich Keßler. Da einige Teile vom Verfall bedroht seien, bestehe Handlungsbedarf. Um diesen Prozess zu steuern, gründete sich der Verein „Industriekultur Steingut e.V.“ und arbeitet darauf hin, möglichst rasch eine Stiftung ins Leben zu rufen, die den historischen, kulturellen, wirtschaftlichen und architektonischen Komplex „Waechtersbacher Keramik“ und seine materiellen und immateriellen Strukturen in einer frühindustriellen Kulturlandschaft sichert sowie seine beispielhafte Bedeutung dokumentiert. „Mit einem Museum zur Industriekultur, mit Veranstaltungen und einem gesamträumlichen Konzept soll die Bedeutung der Region erzählt werden“, bringt es der Brachttaler Sammler auf den Punkt.

Thorsten Stolz zeigt sich begeistert von dem Vorhaben: „Damit könnte man ein Schwerpunktthema für die gesamte Region setzen. Ein neues Museum in der alten Steingutfabrik bedeutet eine erhebliche Aufwertung der Kulturlandschaft im Vogelsberg und strahlt weit über den Main-Kinzig-Kreis hinaus aus“, bezeichnet er das Projekt als absolut unterstützenswert. Wichtig dabei sei, dass der Impuls direkt aus der Gemeinde Brachttal komme und die Entwicklung von vielen Bürgerinnen und Bürger mitgetragen wird. „Hier muss die Kommune Leidenschaft entwickeln, müssen alle gemeinsam an einem Strang ziehen“, betont der Landratskandidat. Nicht zuletzt die große kunsthistorische Bedeutung mancher Produktionslinien aus Schlierbach zeige das Potential der „Industriekultur Steingut“: So realisierte die „Fabrik“ Entwürfe von bedeutenden Künstlern wie Joseph Maria Olbrich, Ferdinand Luthmer, Max Roesler, Ettore Sottsas, Michael Graves und die unlängst verstorbene Star-Architektin Zaha Hadid, die heute in internationalen Sammlungen wie dem „MOMA“ in New York, der Sammlung Bröhan in Berlin oder im Museum Künstlerkolonie auf der Darmstädter Mathildenhöhe zu sehen sind.

Das Keramik-Museum von Klaus-Dietrich und Marlies Keßler öffnet an jedem ersten Sonntag im Monat von 14 bis 17 Uhr. Gruppenführungen könnten Interessierte telefonisch unter 06054/6714 buchen. Weitere Informationen finden Interessierte unter www.lindenhof-museum.de. Informationen zum Verein „Industriekultur Steingut“ gibt es unter www.industriekultur-steingut.org.

Foto: Im „Lindenhof“ in Brachttal-Streitberg (von links): Klaus Dietrich-Keßler, Marlies Keßler und SPD-Landratskandidat Thorsten Stolz.

Foto: Thorsten Stolz (links) ist begeistert von der liebevoll zusammen getragenen Sammlung Wächtersbacher Steinguts, die Marlies und Klaus-Dietrich Keßler im Keramik-Museum „Lindenhof“ in Brachttal-Streitberg präsentieren.


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