300 Menschen demonstrieren für buntes, friedliches Erlensee

Erlensee
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In Erlensee fand auf dem Rathausplatz eine Kundgebung unter dem Motto: „Erlensee gegen Hass, Hetze und Rechtsextremismus >Stimmer erheben – Stimme geben<“  und „Für Demokratie und ein buntes und Friedliches Erlensee!“ mit rund 300 Teilnehmer*innen statt. SPD Erlensee und B90/Die Grünen Erlensee positionierten sich gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus und riefen zu der Kundgebung auf.



Die Initiatorinnen Lilian Siderius (SPD) und  Renate Tonecker-Bös (B90/die Grünen) organisierten die Veranstaltung, zu der auch die teilnehmenden Parteien und Firmen, Vereine, Verbände, die Kirchen eingeladen waren. Siderius und Tonecker-Bös zeigten sich – ebenso wie alle Redner*innen - mit der Beteiligung zufrieden. Eine Abordnung der CDU-Stadtverordneten und der Ehrenvorsitzende sowie ehemalige Landtagsabgeordnete Alois Lenz nahmen ebenfalls aufmerksam teil. Ebenso waren viele Mitglieder der AWO Arbeiterwohlfahrt vom Ortsverein Erlensee-Langenselbold und dem Kreisvorstand Main-Kinzig zusammen mit Jörg Mair, dem AWO-Kreisvorsitzenden und ehemaligen SPD-Vorsitzenden in Erlensee, mit einem Transparent und Plakaten >Herz statt Hetze< dabei.

In dem Aufruf hießt es: "Nach den erschreckenden Wahlergebnissen für die AfD bei der Landtagswahl im Oktober in Hessen – auch in Erlensee erzielte die AfD ein deutliches Ergebnis – und nach all den neuen Entwicklungen, sei es das Treffen rechtsradikaler Personen in Potsdam, ist es jetzt dringend an der Zeit, dass wir als demokratischen Parteien in Erlensee ein klares Zeichen gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus setzen. Wir sind damit keineswegs die Speerspitze im Lande, vielmehr sind wir stolz darauf, wie viele Menschen aus Gesellschaft, Wirtschaft, Wissenschaft und Politik sich schon klar positioniert haben. Hundertausende haben in vielen großen und auch kleinen Kommunen bereits für den Schutz und die Verteidigung unserer Demokratie demonstriert. Nun wollen wir hier als Kommunalpolitiker und -politikerinnen gemeinsam mit allen Erlenseer*innen, Vereinen, Verbänden und hiesigen Firmen gegen Rechtsextremismus, Hass und Hetze und jegliche Form von Fremdenfeindlichkeit zusammenstehen."

Renate Tonecker-Bös begrüßte besonders Schüler und Schülerinnen sowie Lehrer*innen der Georg-Büchner-Schule, und dankten ihnen für die bunten und phantasievollen Plakate, die sie gemalt haben. „Das berührt uns sehr und macht uns Mut, dass wir gemeinsam für ein buntes, demokratisches und friedliches Erlensee zusammenstehen. Ganz herzlichen Dank dem Posaunenchor unter Leitung von Frau Farr, die für einen schwungvollen Start gesorgt hat“, so Tonecker-Bös.

„Die Stimme erheben – Stimme geben“, unter dieser Überschrift beschlossen die  Initiatorinnen, Lilian Siderius, SPD, Stadträtin, Vorsitzende der AWO, Niederländerin und besorgte Erlenseer Bürgerin, und Renate Tonecker-Bös, Bündnis 90 / die Grünen, Fraktionsvorsitzende und Stadtverordnete und ebenfalls besorgte Bürgerin, vor einigen Wochen, dass mehr getan muss, als über schwierige Zeiten zu reden, Medien zu lesen und nur Sorgen zu machen.

„Gemeinsam mit Ihnen stehen wir deshalb auf, und demonstrieren gegen Hass, Hetze und Rechtsextremismus. Mit Ihnen stehen wir für ein buntes, demokratisches und friedvolles Erlensee. Wir erleben Hass in den sozialen Medien, Angriffe auf Flüchtlingsheime, Hetze auf der Straße und am Stammtisch und rechtsextreme Haltungen in manchen Parlamenten“, stellte sie anschließend fest.

Für die Ausführungen „Und was ist hier in Erlensee? Menschen aus mehr als 100 Nationen leben hier und allen diesen Menschen wollen wir eine Heimat geben. Wir wenden uns gegen Ausweisung, Ausgrenzung und Abschiebung von Menschen, die unsere Nachbarn sind, die unseren Schutz brauchen und wertvolle Beiträge in unserer Kommune leisten. Sie  leben hier, weil  unser Grundgesetz  den Schutz dieser Menschen genau so vorsieht und weil wir es so wollen. Wir stehen hier, weil wir gegen Diskriminierung und  Ausgrenzung von Minderheiten, egal ob wegen Behinderungen, Hautfarbe, Religion oder Ethnie sind. Wir wollen, dass jeder und jede einen Platz in unserer Gesellschaft findet“, erhielt Tonecker-Bös viel Zustimmung.

Anschließend fuhr sie fort: „Wir dürfen dem Rechtsextremismus aber auch noch aus anderen Gründen keinen Raum  Heimat bieten: Wissenschaftler sagen uns: Wenn keine Migranten mehr nach Deutschland kommen wollen, ist das sehr bedrohlich für Deutschland. Es wird die Wirtschaft schwächen, die Innovationskraft lähmen. Es schadet den Städten und Gemeinden, wenn sie als Brennpunkte des Rechtsextremismus wahrgenommen werden. Wir alle wissen, dass wir mittlerweile an Fachkräftemangel leiden.  Wir brauchen eine offene willkommensfreundliche Kultur, hier in Erlensee und anderswo, sodass qualifizierte Männer und Frauen in unserem Land leben und arbeiten wollen.“

"Und schließlich wissen wir", so Tonecker-Bös, "dass Menschen mit einem rechtsextremen Weltbild eine frauenfeindliche Haltung haben. 'Frauen zurück an den Herd.' So klingt ihr Schlachtruf.  Sie wollen  Frauen in eine Rolle zwängen wie sie sie in den 50er Jahre innehatten, zuständig für Kirche, Kinder, Küche das können und wollen wir nicht unwidersprochen hinnehmen. Auch dies würde unserem bunten vielfältigen Erlensee einen Schaden zufügen. Wir erheben und geben unsere Stimme für Demokratie, Frieden und eine bunte Gesellschaft Wir erheben und geben unsere Stimme für die zukünftigen Generationen, die hier in Erlensee Demokratie von ihrer besten Seite erleben sollen – mit Respekt, Vielfalt, Streitkultur und Akzeptanz. Stimme erheben – Stimme geben – Darum bitten wir Sie!“, so der Schlussappell.

Anschließend sprachen auf der  Kundgebung Christoph Degen (SPD), Staatssekretär im Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Forschung, Kunst und Kultur. Degen sprang kurzfristig für den erkrankten Bürgermeister Stefan Erb (SPD) ein. Ihm folgte Margret Reinold, Seniorin aus Erlensee, und Nicole Deeg, Sozialmanagerin in Erlensee, berichtete über ihre eigenen Erfahrungen im Umgang mit Rassismus und Ausländerfeindlichkeit.  Nicole Deeg, stellte sich kurz vor: „Ich bin fast 45 Jahre alt und wurde in Karlsruhe geboren. Mein Vater kommt ursprünglich aus Nigeria und meine Mutter ist eine gebürtige Karlsruherin. Ich bin mit meiner alleinerziehenden Mutter und meinem jüngeren Bruder in einem Arbeiterviertel aufgewachsen, welches damals für sozial benachteiligte Randgruppen gedacht war. Hier lebten größtenteils ältere deutsche Generationen sowie Sinti und Jenische -später in den 90ern, kamen auch geflüchtete Familien aus der DDR, ehemaliges Jugoslawien und Eritrea dazu." Nicole Deeg schilderte den Veranstaltungsteilnehmer*innen, dass sie eines der wenigen schwarzen Kinder in der Siedlung war und das Wort Rassismus noch keine große Bedeutung hatte, beziehungsweise sie es nicht verstand. „Beleidigungen wie du >Negerkuss<, >Nigger<, bist du >im Busch geboren?< oder >Zigeuner< waren alltägliche Wörter und an Aufklärung mangelte es“, so die Rednerin.

„In dieser Zeit haben wir aber alle, auf unterschiedliche Weise Rassismus erleben und spüren können: abschätzende Blicke von Nachbarn, Verleumdungen über angeblichen Diebstählen, Beleidigungen bezüglich unserer Hautfarbe. In der Schule wurden uns Kindern, dass offensichtlich, mit anderer Hautfarbe oder Herkunft, keine Fördermöglichkeiten geboten – oder Hilfestellungen für Hausaufgaben, wir wurden sehr oft von gewissen Lehrkräften als > dumm< betitelt. Man hielt den Hauptschulabschluss für uns, für ausreichend. Erst im Nachhinein konnte ich auch hier erfahren, dass es auf unserer Schule in den 80ern noch Lehrkräfte gab, die den Nationalsozialismus gefeiert hatten. Jahre später erkannte ich die Verletzlichkeit solcher unbedachten Äußerungen und unterlassener Hilfestellungen, von Menschen, die nicht Stopp gesagt haben. Erwachsenen. Dies motivierte mich aktiv dagegen anzugehen: Ich wählte einen Beruf im sozialen Bereich und wurde Kinderpflegerin und war über 10 Jahre in Kindergärten und Tagestätten tätig, immer in Stadtvierteln für sozial benachteiligte Gruppen - denn ich wollte den Kindern, egal welcher Nationalität oder Hautfarbe, von klein auf, dieselbe Stärke vermitteln können, wie sie mir fehlte als Kind durch pädagogische Fachkräfte“ schilderte Nicole Deeg ihren Lebensweg in Deutschland. Sie wurde aufgemuntert mit den Worten: Du bist wertvoll, Du bist einzigartig, Du bist großartig, und vor allem kannst du eines Tages alles werden, was du willst!"

Erst sehr spät hatte ihr Bruder und sie sich getraut ein Studium anzugehen. Er ist heute Maschinenbauingenieur und Nicole Deeg hat ihr Studium erst vor wenigen Monaten im Sozialmanagement abgeschlossen. „Für Bildung ist es nie zu spät, hätte aber durch frühe Aufklärung, respektvollem Miteinander, ohne Rassismus und mit Unterstützung, früher beginnen können“ bedauert sie heute. Ihr Bruder und sie haben gemerkt, dass Bildung der Schlüssel zu einer erfolgreichen Zukunft ist. Sie sind stolz darauf, den Mut gefunden zu haben, sich ihren Träumen hinzugeben und ihr Wissen zu erweitern, trotz der manchmal nicht so tollen Erfahrungen in der Kindheit.

„Ich erhoffe mir, dass zukünftig noch mehr Personen existieren, die unsere Kinder während ihrer prägendsten Lebensphase unterstützen und fördern, während sie sich entwickeln! Egal welcher Nationalität, Religion oder Hautfarbe! Heute setze ich mich aktiv mit vielen Projekten und Angeboten für Toleranz, Respekt und Vielfalt ein. Ich möchte Sie alle dazu aufrufen: Lassen Sie uns gemeinsam gegen Rassismus, Hass und Gewalt kämpfen! Jeder von uns kann einen Beitrag leisten, indem wir anderen mit Offenheit begegnen und Vorurteile überwinden. Lasst uns eine Gesellschaft schaffen, in der jeder Mensch unabhängig von Herkunft oder Hautfarbe gleiche Chancen erhält - denn nur durch Zusammenhalt können wir echten Fortschritt erreichen“, ist Nicole Deeg überzeugt.

Die Mit-Initiatorin Lilian Siderius betonte zu Beginn ihres Beitrages, dass  es ihr eine Herzensangelegenheit sei über Europa zu reden. „Ich bin Niederländerin, also eine europäische Mitbürgerin ohne deutschen Pass“, so Siderius. „Für die, die hier heute stehen, erheben wir unsere Stimme laut und deutlich. Die Möglichkeit, sie abzugeben, bietet sich für alle Bürgerinnen und Bürger der 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union am 09. Juni 2024, zur Europa Wahl. Erstmals sind zu dieser Europawahl 2024 auch junge Menschen bereits ab 16 Jahren dazu aufgerufen die mächtigste demokratische Waffe; nämlich ihre Stimme, einzusetzen und an der Wahlurne abzugeben“, appellierte sie an die Jungwähler*innen.

„Ich glaube daran, dass viele von diesem Recht Gebrauch machen und so beweisen werden, dass nicht Volljährige junge Menschen absolut eine politische Meinung haben, dass ihre Stimme wichtig ist und ihre Meinung zählt. Die Europawahlen sind wichtig. Die Entscheidungen, die im Europa Parlament getroffen werden, haben unmittelbare Auswirkungen auf unser Leben, auf Ausbildung, Arbeit, Gesundheit und Umwelt. Als Bürger*innen der EU haben wir, verankert im Freizügigkeitsgesetz, das Recht uns in der EU frei zu bewegen und die freie Wahl, wo wir innerhalb der EU arbeiten, studieren und leben möchten“ informierte sie die Besucher*innen. „Was passiert, wenn z.B. so ein EU-Gesetz wegfällt, sehen wir seit dem Brexit in 2020. Die Konsequenzen des Austritts sind den Menschen im Vereinigten Königreich und auch den Menschen in der EU seither schmerzlich bewusst geworden. Eines muss uns klar sein; auch bei der Europawahl Wahl treten die rechtsextremen Parteien der EU-Mitgliedsländer an. Den Rechtsextremen Parteien mit ihren undemokratischen, verfassungsfeindlichen, nationalistischen und anti-europäischen Werten und Einstellungen im Europa Parlament wenig, und im besten Falle keinen Platz, zu verschaffen, das soll unser Ziel sein. An dieser Stelle daher mein eindringlicher Appell an alle Bürger*innen der EU Mitgliedsstaaten, von 16 bis 100+: Gehen Sie am 09. Juni wählen und geben Sie ihre Stimme einer demokratischen Partei“, so die Aufforderung von Lilian Siderius.

Nach einer guten halben Stunde, als  Niko Deeg (Botschafter der Jüdisch Chasidische Gemeinde in Deutschland und Geschäftsführer der PINOT Bildungsbausteine. Er hat in vielen Ländern gelebt und somit viel unterschiedliche Erfahrungen mit seinem „Jüdisch sein“ gemacht. Nicole und Nico Deeg sind aktiv im Programm von Demokratie Leben Erlensee/Rodenbach eingebunden)  über Antisemitismus in Deutschland zu reden begann, setzte ein starker Regenfall ein. Deeg ließ sich nicht beirren „Demokratie ist nicht immer eine Schön-Wetter-Veranstaltung“. Die Kundgebungsteilnehmer*innen zog er in seinen Bann und sie verteilten sie die unter dem Vorsprung vom Rathaus und den umliegenden Gebäuden. Als weiterer Redner  setzte Landrat Thorsten Stolz (SPD) seine Ansprache fort und als die Sonne wieder heraus kam, versammelten sich die Zuhörer wieder vor der Rednerbühne!

Stolz dankte den Kundgebungsteilnehmern*innen für ihr Durchhaltevermögen: „Ich finde es großartig, dass auch Erlensee ein klares Zeichen für unsere Demokratie, für Freiheit, für ein friedliches Miteinander und für Menschlichkeit setzt. Ich bin dankbar dafür, Landrat in einem Landkreis zu sein, in dem sich Demokratinnen und Demokraten parteiübergreifend zusammenschließen und zum Ausdruck bringen, dass das blau / braune menschenverachtende Gedankengut keinen Platz in der Mitte der Gesellschaft hat."

Der Landrat erinnerte daran:  „In diesem Jahr feiert die Bundesrepublik 75-jähriges Bestehen und damit auch 75 Jahre Grundgesetz. Das ist nicht irgendein Jubiläum. 75 Jahre Grundgesetz sind die Grundlage dafür, dass wir ein ganz großes Privileg haben. Nämlich seit mittlerweile 75 Jahren in Frieden, Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit und einem gewissen Wohlstand leben zu dürfen. Es ist unsere gemeinsame Verantwortung, dass wir mehr Menschen bewusst machen, dieses Privileg zu verteidigen.“ Der Posaunenchor spielte noch zwei Stücken bei der gelungen Kundgebung.

Ein gemeinsamer Redebeitrag von Payman Mohammad und Yussef Falioune, Vertreterinnen der Schülerschaft der Georg-Büchner Schule in Erlensee rundete die Ansprachen für Demokratie und Vielfalt sowie den Zusammenhalt von Jung und Alt in Erlensee ab. Die Georg-Büchner-Schule hat in den letzten Wochen das Projekt „Schule gegen Rassismuss, Schule gegen den Krieg“ bearbeitet.

Der krönende Abschluss war ein Rap des Rappers Matondo, der extra aus Berlin nach Erlensee kam. Matondo ist freischaffender Künstler. Er ist aktiv als Erzieher, Streetworker, Moderator, Schauspieler, Musiker, Hip-Hop Dozent und Gründer bzw. Geschäftsführer der gemeinnützigen Unternehmensgesellschaft – Alles für die Jugend. Das Publikum spendete einen so lange anhaltenden Applaus nach seinem Rap über Frieden und Freiheit sowie Krieg, dass er seinen Auftritt noch einmal wiederholen musste. Nicht nur die anwesenden Jungendlichen, sondern auch die älteren Jahrgänge waren von seinem Auftritt mehr als begeistert.

Text und Fotos: Anton Hofmann


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