Höchster Verein „Wir helfen in Afrika“: Ultraschall in Lunga Lunga

Höchst
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Die Sonne ist längst unter gegangen an jenem Tag im Februar, trotzdem ist es noch immer drückend heiß im Behandlungsraum des Geburtshauses in Lunga Lunga.

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Andreas Schneider hat bereits mehr als 40 Patienten versorgt, noch immer sitzen einige vor der Tür und warten auf ihn. „Ich wollte niemanden wegschicken“, sagt der niedergelassene Frauenarzt aus Bad Orb. Also macht er weiter. Unterstützt von zwölf wissbegierigen und tatkräftigen Ordensschwestern untersucht er am Ende, nach mehr als zwölf Stunden im Einsatz, fast 50 Menschen. Frauen, Männer und Kinder. Vieles ist Routine. Bei einem Patienten aber entdeckt er mithilfe eines Ultraschall-Diagnosegeräts ein Blasenkarzinom, bei zwei weiteren bedenkliche freie Flüssigkeiten im Bauchraum. Eine Schwangere erfährt in der 30. Schwangerschaftswoche dass sie Zwillinge bekommen wird und einer Frau teilt er mit, dass ihre Beschwerden von einer Schwangerschaft in der 12. Woche herrühren.

Eigentlich sollte das Ultraschall-Gerät im Mittelpunkt stehen. Dafür ist Andreas Schneider nach Kenia gekommen. Er wollte die drei Schwestern der Krankenstation an der „Wundermaschine“ ausbilden. Die Main-Kinzig-Kliniken haben dem Höchster Verein „Wir helfen in Afrika“ im vergangenen Jahr das Diagnosegerät gespendet. Sie sind aber nicht alleine. Etwa zehn weitere Schwestern von den Krankenstationen der gesamten Region stehen ebenfalls erwartungsfroh vor dem Geburtshaus und warten auf den „Doktor aus Deutschland“. Unter ihnen ist auch die Gesundheitsbeauftragte des Ordens der Schwestern des Heiligen Josefs, der das Geburtshaus verwaltet. Sie ist eigens aus Nairobi gekommen. „Am ersten Tag waren außerdem acht Patienten da, die extra für die Schulung bestellt waren“, berichtet Schneider.

Neben dem Vermitteln der Informationen zum Gebrauch und Pflege des Geräts merkt der 52-Jährige gleich zu Beginn, wie wichtig es wird, die Grenzen der Diagnostik zu erklären und den Schwestern klar zu machen, dass der Höchster Verein mit dem Gerät nicht die „ultimative Maschine zum Erkennen aller Krankheiten“ mitgebracht hat. Nichtsdestotrotz sei das Ultraschallgerät wertvoll. „Schon nach den wenigen Stunden Schulung können die Schwestern erste einfache Befunde erheben. Sie werden erkennen, ob etwa Zwillinge unterwegs sind, wo der Kopf des Babys liegt und wo der Rücken. Auch werden sie sehen, wo der Mutterkuchen sitzt.“ Diese Informationen sind wichtig, um Komplikationen bei der Geburt zu vermeiden. „Schon allein dafür hat sich die Spende gelohnt.“ In Zukunft aber plant „Wir helfen in Afrika“ noch mehr: „Einmal in der Woche soll ein Arzt des Msambweni-Hospitals ins Geburtshaus kommen, um weiterführende Diagnostik am Ultraschall-Gerät anbieten zu können“, berichtet Vereinsvorsitzender Helmut Günther.

In Lunga Lunga und der gesamten Region verbreitet sich die Nachricht vom deutschen Arzt wie ein Lauffeuer. So sind am zweiten Tag von Schneiders Aufenthalt schon einige Patienten zusätzlich auf das großzügige Gelände am Ortsrand gekommen. Wirklich erstaunt ist der Frauenarzt dann an Tag drei: „Schon als wir durch das Tor fuhren, sah ich eine Menschentraube auf dem Vorplatz warten“, erzählt er und blickt dabei immer noch so erstaunt wie am Tag selbst. „Schwester Magdaline hat mir erklärt, dass einige schon am Vorabend gekommen waren und auf der Veranda der Krankenstation übernachtet haben, nur um mich zu sehen.“ Dass es am Ende des Tages fast 50 Patienten sein werden, ahnt der Bad Orber bis dahin noch nicht. „Wir haben uns erst einmal organisiert. Jede Schwester hat eine eigene Aufgabe bekommen.“ Ab sofort heißt es „Lernen im laufenden Betrieb“. So erklärt Schneider jeden seiner Handgriffe am Ultraschallgerät genau, die Schwestern versuchen trotz des großen Andrangs alle Erklärungen aufzunehmen. Dabei ist auch so genug zu tun: Eine Schwester nimmt die Patientendaten auf, eine weitere notiert deren Beschwerden, eine gibt die Daten im Ultraschallgerät ein. Charity, zwar keine Ordensschwester, aber eine wichtige Stütze des Geburtshauses, schreibt Schneiders Befunde genau auf. „Im Laufe der Tage hat sich gezeigt, dass sie sich zu unserer Ultraschall-Expertin entwickelt.“

Auch die weitere Versorgung der Menschen übernehmen Schwestern. „Das war schon harte, anstrengende Arbeit“, resümiert Schneider. Denn nicht nur die schiere Zahl der Patienten schlaucht: „Es bedurfte erheblicher Konzentration, in der afrikanischen Hitze mit einem fremden Ultraschallgerät auf Englisch zwölf bis 15 wissbegierigen Schwestern die Untersuchungsabläufe zu erklären, sich aber gleichzeitig auch empathisch um den Patienten zu kümmern und sich mit dessen eigentlichen Beschwerden auseinanderzusetzen. Denn die Verständigung mit den Patienten war noch viel schwieriger und wer wollte es den guten Kenianern verübeln, dass sie eigentlich überall – an allen Organen – Beschwerden hatten?“

Dass er nicht nach acht Stunden aufhört und zurück ins Hotel unter die Dusche fährt, hat sehr einfache und doch so erfreuliche Gründe: „Jeder einzelne Mensch dort hat so viel auf sich genommen, um mich zu sehen, mit mir zu sprechen“, erinnert sich Schneider. Einige sind stundenlang gelaufen, um nach Lunga Lunga zu kommen. „Wie kann ich denn da auch nur einen einzigen Patienten abweisen?“ Dazu komme die Gastfreundschaft vor Ort. „Es war unbeschreiblich. Die Schwestern haben mich sofort in ihren Kreis aufgenommen, als Ehrengast behandelt. Sie haben mich bekocht und mir jede nur erdenkliche Unterstützung zukommen lassen.“ Eigens ein Huhn schlachten sie für den Gast aus dem Main-Kinzig-Kreis – das gibt es sonst nur an Weihnachten. Da verwundert es nicht, dass alle gemeinsam trotz der anstrengenden Arbeit viel miteinander lachen.

An die für einen deutschen Mediziner ungewohnten Bedingungen passt sich Andreas Schneider schnell an. „Einen Kulturschock habe ich nicht erlitten. Grob gesagt erinnerte mich vieles an die Lebensbedingungen von Aborigines in Australien, die ich besucht habe.“ Der Straßenverkehr – ja, der sei ihm aufgefallen. „Schon am Morgen meiner Ankunft in Mombasa waren die Straßen voller Menschen, Autos, Fahrräder und Motorräder. Das totale Chaos – dachte ich zumindest.“ Dann habe er erkannt, dass das Chaos durchaus System habe „und die Kenianer vieles, was in Deutschland zu einer mittelschweren Katastrophe führen würde, mit einem Schulterzucken und Lächeln zur Kenntnis nehmen – ohne jegliche Aggression.“

Er ist sich sicher, nicht zum letzten Mal in der Krankenstation in Lunga Lunga gewesen zu sein. Möglicherweise wird er schon Ende des Jahres wieder zu den Schwestern fahren. Bis dahin hat er ihnen eine „Hausaufgabe“ gestellt. „In Kenia kommen Schwangere erst kurz vor der Entbindung zum Arzt oder zur Krankenstation.“ Schneider will aber versuchen, Frauen schon zu Beginn der Schwangerschaft untersuchen zu können. Daher sollen die Schwestern die Prominenz des Ultraschall-Geräts nutzen. „Sie sollen Frauen ermutigen, acht bis zehn Wochen nach ihrer letzten Periode ins Geburtshaus zu kommen.“ Werden die Frauen frühzeitig untersucht, sind die Schwestern mit etwas Erfahrung in der Lage, das genaue Schwangerschaftsalter und damit den möglichen Geburtstermin zu bestimmen. Denn für das Erkennen von Problemen ist die Kenntnis des Schwangerschaftsalters extrem wichtig. „Auch wenn die Möglichkeiten des Ultraschalls aktuell noch sehr begrenzt sind und das Gerät weit entfernt von einer ‚Wundermaschine‘ ist, haben die Schwestern von Lunga Lunga doch ein enorm wertvolles Instrument an der Hand, um die Sicherheit von Mutter und Kind auch jetzt schon deutlich zu verbessern.“

Wer mehr über den Verein „Wir helfen in Afrika“ erfahren will, ist für Sonntag, 4. März, ins Dorfgemeinschaftshaus nach Höchst eingeladen. Ab 10 Uhr stehen die Projektbeauftragten und die Vorstandsmitglieder für persönliche Gespräche zur Verfügung, um 14 Uhr beginnt dann das offizielle Programm, das unter anderem von der Trommelgruppe „The African Voice“ umrahmt wird.


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