Fazit 100 Jahre später: „Es gibt noch viel zu tun“

Hanau
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Es waren beeindruckende Blickwinkel und Perspektive, die 4 Frauen und 1 Mann im Rahmen einer Veranstaltung der SPD Hanau zum Jubiläumsjahr „100 Jahre Frauenwahlrecht“ eröffneten.



Gut 70 Anwesende folgten mit hohem Interesse den spannenden Erfahrungsberichten und sachkundigen Informationen aus berufenen Mündern. Ilse Werder, Journalistin und Autorin, Annika Niemeyer, Studentin und Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen (AsF), Susanne Wetzel, Präsidentin des Landgerichtes Hanau, Margret Härtel, Oberbürgermeisterin a. D. und Horst Rühl, Vorstandsvorsitzender des Diakonischen Werkes Hessen, waren von der SPD Hanau eingeladen, um unter dem Titel „Erfahrungen, Wünsche, Perspektiven“ ihren Blick auf das historische Datum „100 Jahre Frauenwahlrecht“ zu richten.

Im Zuge der Novemberrevolution am Ende des 1. Weltkrieges, als am 09. November 1918 die Republik ausgerufen wurde und die Zeit des Kaiserreiches sein Ende nahm, zeigte die Frauenrechtbewegung in Deutschland ihren ersten Erfolg. Am 30.11. 2018 erhielten Frauen in Deutschland durch eine Verordnung erstmals das aktive und passive Wahlrecht für die Wahl zur Nationalversammlung im Januar 1919. Für die Gastgeberinnen hob Cornelia Gasche, SPD-Fraktionschefin im Stadtparlament Hanau, hervor, dass es der Sozialdemokrat August Bebel war, der mit seinen Schriften und seinem 1879 erschienen Buch „Die Frau und der Sozialismus“ eine weit über die Grenzen Deutschlands hinausgehende Auseinandersetzung um die Frage der Gleichberechtigung auslöste.

Bebel vertrat bereits damals die Position, dass sich die Verbesserung der Lebensbedingungen der Arbeiter nicht trenne lasse, von den Lebensbedingungen der Frauen und daher eine Einbeziehung der Frauen und deren politische Bildung unabdingbar sei. Das Buch ging um die Welt und drang tief in alle Schichten der Gesellschaft ein. Am 31.10.1909 erschien die 50igste Auflage. Es sollte noch 10 Jahre dauern, bis Frauen erstmals wählen durften. Ilse Werder, Jahrgang 1925, und Mitbegründerin des Archivs Frauenleben im Main-Kinzig-Kreis, zeigte anhand historischer Belege auf, dass diese Auseinandersetzung auch in Hanau stattfand. 1892 gab es eine aktive Frauengruppe, die sich für das Frauenwahlrecht einsetzte. Clara Zetkin und Rosa Luxemburg waren Referentinnen in Hanau und als 1911 zu einem ersten Frauentag in Hanau die italienische Sozialistin Angelika Balabanoff zu Gast war, wurde sie vom damaligen Landrat als „lästige Ausländerin“ aus der Stadt verwiesen. Ein Demonstrationszug begleitete sie zum Hanauer Hauptbahnhof. Landgerichtspräsidentin Wetzel lenkte den Blick auf die gesetzlichen Etappen und das mit dem Wahlrecht 1918 der Weg zur Gleichberechtigung längst noch nicht geebnet war. Das Ehe- und Familienrecht der damaligen Zeit blieb unverändert. Konservative Kreise und die Kirchen warnten davor, „die natürliche Eheordnung durch eine Gleichberechtigung zu stören“, so Wetzel. Bis zum 01.01.1958, dem Inkrafttreten des ersten Gleichberechtigungsgesetzes, konnte bspw. ein Mann das „Dienstverhältnis“ seiner Frau kündigen. In Baden-Württemberg galt bis 1956 das Lehrerinnenzölibat.

Frauen mussten aus dem Schuldienst austreten, wenn sie heirateten. 1970 hob der DFB das Fußballverbot für Frauen auf. Bis in die jüngsten Jahre, zeigte Wetzel auf, entwickelt die Gesetzgebung neue Grundlagen, die Basis für die Chancengleichheit von Frauen sind, so z. B. das Gewaltschutzgesetz (2002) oder die Mütterrente (2014). Oberbürgermeisterin a. D., Margret Härtel, trug mit ihren sehr persönlichen Erfahrungen bei. Es war auch in den 1970er Jahren alles andere als selbstverständlich, als junge Mutter mit 4 Kindern, politisch aktiv zu werden. Erst durch Männer in der Partei geworben und anschließend mit sehr subtilen Methoden, immer wieder der Versuch, die junge Frau und Mutter auf die „Plätze zu verweisen“. Für mich, so Härtel, war im Grunde meiner Haltung die Gleichberechtigung eine Selbstverständlichkeit. Erst als ich selbst politisch aktive wurde, wurde mit klar, dass dies ein Trugschluss war. Es habe sich Vieles verbessert. Das Jubiläumsjahr 2018 sei eine gute Chance, aufzuzeigen was noch fehle und möglichst im Bündnis mit Männer, darum zu streiten.

Eindrucksvoll der Beitrag der jüngsten Frau in der Runde, die 21-jährige Annika Niemeyer. Sie berichtete aus sehr persönlichen Erfahrungen darüber, dass noch heute junge Frauen in einen Rechtfertigungsdruck geraten, wenn sie in der Realität auf noch bestehende Ungerechtigkeiten hinweisen. Exemplarisch verwies sie auf die Debatte um die Streichung des Artikel 219 a, der es verbietet, für Schwangerschaftsabbrüche „Werbung“ zu machen. Eine Gießener Frauenärztin war 2017 verklagt worden, weil sie auf ihrer Homepage den Schwangerschaftsabbruch als medizinisches Angebot auswies. Niemeyer forderte, wie Generationen von Frauen zuvor, das Selbstbestimmungsrecht der Frau. Der Mann in der Runde, Horst Rühl, berichtete aus seinem Erfahrungshintergrund insbesondere aus dem Bereich der Pflege. Er brach einen Stab für Frauen in diesem Beruf und forderte selbstbewusst eine Männerquote in der Pflege. Es seien, so Rühl, die Frauen, die viele Aufgaben des Gemeinwesens sicherstellten und deren Berufe in der Anerkennung, die sich insbesondere auch in der Bezahlung ausdrücke, noch immer nicht denen der Männer gleichgestellt seien. Gemeinsamer Hinweis aller Teilnehmenden, dass der 18. März der diesjährige equal-pay-day war. Der Tag an dem faktisch für Frauen erst das Jahreseinkommen zählt, vergleicht man es mit dem Einkommen von Männern. Mehr als 2,5 Monate haben sie im Vergleich zu Männern in ihrem jeweiligen Beruf faktisch ohne Einkommen gearbeitet.

Ein spannender Bogen, inhaltlich und Generationen begreifend. Zwischen Ilse Werder und Annika Niemeyer liegen eindrucksvolle 57 Lebensjahre. Gemeinsames Fazit eines interessanten Nachmittags: Es gibt noch viel zu tun – der Weg zur Gleichberechtigung ist noch längst nicht zu Ende. Moderatorin Yvonne Arnold-Backhaus, schloss mit einem Zitat von Clara Zetkin: „Lassen wir uns nicht schrecken durch die Ungunst äußerer Umstände, haben wir für alle Schwierigkeiten nur eine Antwort: „Erst recht“.


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