Dringend nötig, den Pflegeberuf attraktiver zu gestalten

Schlüchtern
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Die gute Nachricht: Die Lebenserwartung in Deutschland steigt. Die schlechte Nachricht: Altenpflegerinnen und Altenpfleger sind rar.



Der Pflegenotstand ist unausweichlich. Für Uwe Gall, Leiter des GAMA-Altenhilfezentrums in Schlüchtern, ist es gar keine so ferne Zukunftsvision. Mit der heimischen SPD-Bundestagsabgeordneten Bettina Müller sprach er über die Herausforderungen seiner Branche.

„Fachkräfte fehlen schon jetzt“, beklagte er im Gespräch mit der Gesundheitspolitikerin. Eine schnelle Abhilfe sieht er zurzeit nicht. „Es ist es schwierig Auszubildende für den Beruf zu gewinnen und ausländische Mitbürger haben hohe Hürden vor sich, bevor sie hier arbeiten dürfen.“ Für Gall verschärft sich die Situation obendrein durch ein Phänomen, das er seit einiger Zeit beobachtet: Pflegeheime schössen überall aus dem Boden, wie Pilze nach einem warmen Regen. „Investoren fordern teilweise hohe Renditen von Betreibern und verschärfen die Marktsituation obendrein.“ So „verkämen“ die Einrichtungen teilweise zu Spekulationsobjekten. Und die Spirale des Fachkräftemangels werde noch weiter gedreht. „Je mehr Einrichtungen entstehen, desto größer wird der Bedarf an Fachpersonal und dadurch der Pflegenotstand.“ Gall regt daher an, dem Zuwachs von Pflegeheimen kontrolliert Einhalt zu gebieten und den Pflegeberuf in jeglicher Hinsicht attraktiver zu gestalten.

„Der Mangel an Fachkräften ist bereits akut“

Für Bettina Müller sind Galls Schilderungen keine Einzelmeinung, sondern eine treffende Darstellung des Ist-Zustands. Sie untermauerte seine Ausführungen mit Zahlen: Derzeit seien rund 2,6 Millionen Menschen in Deutschland pflegebedürftig. Prognosen zufolge werde sich diese Zahl bis zum Jahr 2050 verdoppeln. „Der Mangel an Pflegekräften ist jetzt bereits akut und wird sich in Zukunft noch verschärfen“, sagte die Gesundheitspolitikerin. Schätzungen zufolge fehlten 2025 in Deutschland über 150.000 Pflegekräfte. Die aktuelle Hochrechnung der Bertelsmann-Stiftung gehe sogar von 500.000 fehlenden Vollzeitkräften bis 2030 aus. „Deshalb war es wichtig, dass wir in dieser Legislaturperiode, im Rahmen der Pflegereform, auch die Weichen für zukunftsfähige Pflegeberufe gestellt haben.“

„Den Pflegeberuf attraktiver machen“

Bei diesen „Weichen“ handelte es sich um die Ausbildungsreform in den Pflegeberufen: Die drei Ausbildungsgänge der Alten-, Kranken- und Kinderkrankenpflege wurden zu einer einheitlichen Berufsausbildung zusammengelegt. Bettina Müller, selbst Krankenschwester, war dies eine Herzensangelegenheit. Als Fachberichterstatterin der SPD-Fraktion hatte sie das Gesetzgebungsverfahren begleitet. „In der Praxis wachsen die Berufsbilder der Alten- und der Krankenpflege immer mehr zusammen“, erläuterte sie. So würde das Personal in Krankenhäusern verstärkt mit alten und hochbetagten Menschen konfrontiert. „Daher brauchen wir dort zwingend bislang nicht vermittelte Kenntnisse in der Altenpflege.“ Umgekehrt sei in der Altenpflege zunehmend Wissen aus der medizinischen Behandlungspflege gefragt.

„Die Ausbildung ist nun breiter aufgestellt, was auch dringend nötig war, um den Pflegeberuf attraktiver zu machen“, meinte die SPD-Politikerin. Denn aufgrund der demographischen Entwicklung sei ein massiver Konkurrenzkampf der einzelnen Branchen um die wenigen Schulabgänger zu erwarten. „Unattraktive Berufe geraten dann schnell ins Hintertreffen. Und gerade die Altenpflege ist wegen der schlechten Bezahlung im Vergleich zur Krankenpflege nicht gut aufgestellt.“ So betrügen die Lohnunterschiede regional bis zu 30 Prozent. Bettina Müller erwartet, dass sich dies mit der einheitlichen Ausbildung erledigt. Eines hat sich durch die Reform bereits erledigt, nämlich das Schulgeld in der Altenpflege. „Es gab Bundesländer, da bekamen Altenpflege-Azubis kein Geld, sondern mussten sogar welches mitbringen. Ein völliges Unding.“ Weitere Pluspunkte für die Pflegeberufe durch die Ausbildungsreform: es gebe endlich die bislang fehlende EU-rechtliche Anerkennung der deutschen Altenpflegeausbildung und es werde eine akademische Ausbildungsvariante eingeführt. „Diese Weiterentwicklung und Aufwertung pflegerischer Berufe ist unabdingbare Voraussetzung dafür, mehr junge Menschen für dieses wichtige Berufsfeld zu gewinnen“, meinte Bettina Müller.

„Auf Einwanderung qualifizierter Fachkräfte angewiesen“

Gleichwohl hält sie auch Einwanderung für nötig, um dem Fachkräftemangel – nicht nur in der Altenpflege – entgegen zu wirken. „Schon jetzt haben wir eine Million offener Stellen in Deutschland. Und in den nächsten zehn Jahren werden wir mehr als sechs Millionen Erwerbstätige verlieren“, sagte die Abgeordnete. Daher fordere die SPD, die Einwanderung qualifizierter Fachkräfte aus Nicht-EU-Staaten zu steuern. Kernelemente des Gesetzesvorschlags der Sozialdemokraten: eine jährlich flexible Einwanderungsquote, die Deutschlands Fachkräftebedarf berücksichtigt und ein transparentes Punktesystem nach kanadischem Vorbild. „Wir sind auf die Einwanderung qualifizierter Fachkräfte aus dem Ausland, nicht nur aus der EU, angewiesen“, meinte Bettina Müller. Doch mit mehr als 50 Aufenthaltstiteln und intransparenten Entscheidungsverfahren sei das bisherige Einwanderungsrecht für die dringend benötigten, ausländischen Fachkräfte, sehr unattraktiv.

„Asylrecht bleibt vom Einwanderungsgesetz unberührt“

Hierbei ist es Bettina Müller sehr wichtig, Einwanderung ganz klar von Asyl zu unterscheiden. „Asyl brauchen Schutzsuchende. Dabei geht es um eine humanitäre Verpflichtung, der wir nachkommen müssen. Einwanderung braucht der Staat. Dabei geht es um legitime wirtschaftliche Interessen“, erläuterte die SPD-Politikerin. Folglich blieben die Regelungen zum Asylrecht vom Vorschlag eines Einwanderungsgesetzes unberührt. Politisch Verfolgte hätten auch weiterhin einen Anspruch auf ein Asylverfahren. Wer aber nicht Sicherheit vor Krieg und Verfolgung, sondern Arbeit und ein besseres Leben suche, dem stehe das Asylverfahren nun mal nicht offen. Bettina Müller: „Der Wunsch nach einem Arbeitsplatz ist verständlich, aber kein Asylgrund. Auch deshalb will die SPD-Bundestagsfraktion Klarheit schaffen, wer nach Deutschland einwandern kann und wer nicht.“

„Spekulationen mit Altenhilfeeinrichtungen unterbinden“

Galls Kritik an der Spekulation mit Pflegeheimen teilte die Abgeordnete. Ursache sei, dass es derzeit keine Planung gebe, wo und wie viele Einrichtungen benötigt würden. Der Vorschlag der Gesundheitspolitikerin: Die Zulassungskriterien für Altenhilfeeinrichtungen anheben, um Spekulationen mit diesen Einrichtungen zu unterbinden. Bettina Müller: „Die Behandlung von Menschen darf nicht zum Spekulationsobjekt von Finanzmärkten werden.“

Foto: Suchte das Gespräch: Bettina Müller, SPD-Bundestagsabgeordnete (rechts) mit Uwe Gall, Leiter des GAMA-Altenhilfezentrums in Schlüchtern und Luise Meister, SPD-Kreistagsabgeordnete. Foto: Nils Lieberknecht


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