Der Kreisverband der „Alternative für Deutschland“ (AfD) wollte am Mittwoch auf einer Pressekonferenz in Wächtersbach das Programm für die Kommunalwahl am 6. März 2016 vorstellen. Doch anstatt des üblichen Frage-Antwort-Spiels entwickelte sich ein Streitgespräch, das eher dem Niveau entsprach, aus dessen Quellen die AfD im Main-Kinzig-Kreis offenbar ihren meisten Input rausholt: vom Stammtisch. Eine für beide Seiten unwürdige Veranstaltung.
Auch Journalisten müssen sich entscheiden: Entweder zählt man die AfD samt ihrer Kandidaten und Mitgliedern zu den Neonazis á la NPD und Co., dann ist jede Kommunikation sinnlos, das hat die Vergangenheit gezeigt. Oder aber man akzeptiert zumindest, dass sich in der AfD Bürger versammelt haben, die demokratische Strukturen akzeptieren und sich auf dem Boden rechtstaatlicher Grundsätze für ein politisches Mandat bewerben. Nur diese Mindestanforderung rechtfertigt ein Gespräch. Dass dazwischen viel Spielraum ist, meist als „rechts“ und „links“ im politischen Sinne bezeichnet, nutzen auch etablierte Parteien gerne aus.
Also wer sitzt da auf der anderen Seite: Sechs Männer, meist mittleren Alters, einige auch bereits in Pension oder Rente. Spitzenkandidat Dr. Wolfram Maaß aus Linsengericht will jahrelang einen Mitgliedsantrag der CDU zu Hause unausgefüllt gelassen haben, Johannes Sperzel aus Sinntal erzählt, dass er vor 30 Jahren mal für einen Ortsverband der FDP kandidiert habe. Die Mehrheit will bisher keiner politischen Kraft angehört haben, der Ärger über den „Parteien-Filz“ habe sie 2013 in die Fänge der AfD getrieben. Dass die damals noch eine ganz andere Partei war als heute, stört sie dabei nicht. Ganz im Gegenteil: Den Quasi-Rauswurf des einstigen Hauptgründers Prof. Bernd Lucke begrüßen sie ausdrücklich.
„Ich brauche keinen Führer“, sagt Siegfried Lasch aus Linsengericht und übersieht dabei offenbar, dass vor allem AfD-Spitzenmann Björn Höcke auf den Pegida-Veranstaltungen als eben solch einer Auftritt. Eine Deutschland-Fahne, wie Höcke bei seinem unsäglichen TV-Auftritt bei Günther Jauch, packte keiner der AfD-Mitglieder auf der Pressekonferenz aus, bei einer Veranstaltung des AfD-Spitzenmannes in Erfurt will Maaß sogar ganz genau zugehört und nichts ehrenrühriges erkannt haben. Der skandierte dort am 21. Oktober eine Politik, die „als erstes Ziel hat, die Interessen des eigenen Volkes zu vertreten“ und genau damit will auch die AfD auch im Main-Kinzig-Kreis erst die Stammtische und dann den Kreistag erobern. „Ich habe Angst, was in diesem Land passiert“, sagt Johannes Sperzel und will damit genau jene Weltuntergangsstimmung herbeireden, die Journalisten nachdenklich stimmen und genau hinschauen lassen sollte. Denn meist lassen sich eben jene Horrorszenarien ganz leicht entzaubern.
Und das geht auch bei der AfD Main-Kinzig fast schon erschreckend einfach: Das Thema „Flüchtlinge und Asyl“ steht in den Leitlinien zur Kommunalwahl 2016 beispielsweise zwar ganz oben, nach längerer Diskussion müssen aber auch die sechs Herren von der Kreis-AfD zugeben, dass hier Bund und Land agieren und im Main-Kinzig-Kreis nur reagiert werden kann. Noch weniger Mühe wurde sich beim Programmpunkt „Innere Sicherheit“ gemacht, sondern die Stammtischparole nach „ungeschönten Informationen über die Herkunft der Straftäter“ gleich direkt übernommen. Was die angekündigten „sachgerechten Lösungen“ dafür sein sollen, konnte unterdessen niemand erklären. Und noch so ein Beispiel für den Stimmenfang mit Übertreibungen: Über die Aufstellung von Windkraftanlagen im Main-Kinzig-Kreis wird auch zwischen den etablierten Parteien teils heftig diskutiert, während aber selbst die größten Gegner von maximal 1.500 Windrädern im Kreisgebiet ausgehen, sind es bei der AfD dann gleich „tausende“, die unbedingt verhindert werden müssen. Quasi an jedem Stammtisch eins.
Immerhin: Ganz am Ende ihres Wahlprogrammes hat auch die AfD Main-Kinzig erkannt, dass „bei vielen Themen die Entscheidungskompetenz nicht bei den Kreisen, sondern bei der Landes- oder Bundesregierung liegt“. Den vermeintlichen Richtungswechsel, den zumindest der Parteiname erwarten lässt, würden die Wählerinnen und Wähler mit ihrem Kreuz bei der AfD somit wohl kaum einleiten. Das Fazit nach dieser Pressekonferenz kann daher nur lauten: Eine Alternative ist nicht erkennbar.
Kandidatenliste AfD Main-Kinzig
Dr. Wolfram Maaß, Linsengericht, Dipl. Physiker Günter Tappen, Steinau, Selbstständig Ulrich Langenbach, Gründau, Vers.-Kaufmann Harald Walter, Hanau, Chemikant Siegfried Lasch, Linsengericht, Dipl.-Ing. Elektrotechnik Johannes Sperzel, Sinntal, Dipl.-Ing. Maschinenbau Klaus Dippel, Hanau, Dipl.-Ing. Maschinenbau Prof. Erich Albrecht, Maintal-Dörnigheim, Prof. f. Elektrische Energietechnik Karin Wagener, Hanau, gepr. Pharmareferentin Sven Kirsten, Bad Soden Salmünster, Sanitär und Heizungsbaumeister Edwin Michel, Steinau, Rentner Hans-Jürgen Kondritz, Nidderau-Ostheim, Bankkaufmann Gerd Jesse, Bruchköbel, Rentner Bianca Barton, Maintal, Betriebswirtin Peter Schmidt, Gründau, Dipl. Ing., Rentner Klaus Fritz, Bad Orb, Rentner Peter Schmitt, Steinau, Selbstständig Gert Wolf, Bad Orb, Koch Stefan Hahn, Hanau, Kfm.-Angestellter Gertrud Schreiber, Linsengericht, Fachlehrerin Christel Marx, Wächtersbach, Hausfrau Siegfried Langer, Bad Soden-Salmünster, Rentner Ralf Koch, Grosskrotzenburg, Angestellter Wilma Langer, Bad Soden-Salmünster, Betriebsangestellte Ute Zimmermann, Schlüchtern, Hausfrau Walter Pfeifer, Bad Soden-Salmünster, Rentner Hermann Gärtner, Bad Soden-Salmünster, Polizeibeamter a.D. Georg Guth, Schlüchtern, Rentner
Foto: Die AfD-Spitzenkandidaten auf der Pressekonferenz in Wächtersbach (von links): Günter Tappen (Steinau), Johannes Sperzel (Sinntal), Siegfried Lasch (Linsengericht), Dr. Wolfram Maaß (Linsengericht) und Ulrich Langenbach (Gründau). Später kam auch noch Harald Walter (Hanau) dazu.