„Sehnsuchtsort Wald“: Sommersalon rund um die Weiße Villa

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Wenn die Schöffers um 1900 zur Jagd riefen, wurde ein kleines Volksfest daraus. Ganz Gelnhausen war auf den Beinen, man feierte das Jagdglück und ein bisschen auch sich selbst.



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Denn die Zeit, als der Adel ein Vorrecht auf die Jagd hatte, lag nicht weit zurück. Aus Amsterdam und Berlin war die Verwandtschaft angereist, man machte „Landpartien“, zog mit Presskorb und Kutsche in den Spessart und genoss die Sommerfrische auf dem Land.

Doch abends, wenn die einstigen Bewohner der Weißen Villa das sommerliche Hochgefühl bei Hausmusik ausklingen ließen, schieden sich die Geister. „Tot ist der Baum! Ich mich zu leben sehn! Drum lasst mich nicht bei Euch – im Wege stehn!“ schrieb Frida Becker, die Enkelin des Villa-Erbauers Conrad Heinrich Schöffer, in ihrem Mädchenzimmer. Das 20. Jahrhundert stand vor der Tür, als einziges Kind der Becker-Schöffers, das noch dauerhaft in der Villa wohnte, sehnte sich die Zwanzigjährige nach Ausbruch. Präsentierte die Mutter wieder einen Bräutigam, floh sie in den Wald. Auf dem diesjährigen Sommersalon-Plakat ist sie die Hauptfigur: Mit Federhut, Muff und ernstem Blick lehnt sie an einem Baumstamm. Sinnbild dafür, dass alle Gefühle im Wald noch größer werden. Ohnehin: Wer in Gelnhausen aufgewachsen ist, ist am Wald aufgewachsen und hat seine ganz eigene Beziehung zu ihm entwickelt. Das Motto des „Sommersalons am Goldenen Fuß“ ist in diesem Jahr deshalb so erdig wie hochfliegend, mit viel Raum für Phantasien und Phantastereien: „Sehnsuchtsort Wald“.

Vom 23. Juni bis zum 2. Juli, kurz vor Beginn der Sommerferien, wird mit Vorträgen und Konzerten, zwei Waldwanderungen, einem Galadiner, einem Film-Abend und einem Club-Abend das Konzept der letzten Jahre mit viel Anspruch fortgeführt: ein relevantes Thema von möglichst erhellenden Seiten zu betrachten und hierfür einen so familiären wie weltoffenen Rahmen zu schaffen. Das Bild vom „Deutschen Wald“, der in Gedichten, Märchen und Sagen spätestens seit der Romantik als Metapher für allerlei Gefühlswallungen diente, soll vor dem Hintergrund aktueller Befindlichkeiten und Herausforderungen ausgeleuchtet werden: Was fasziniert uns am Wald? Wie inspiriert er Musiker und Künstler? Wie riecht, schmeckt und klingt er? Wird es den Wald, wie wir ihn kennen, bald so nicht mehr geben?

„Wir wollen nicht nur die Natur mit allen Sinnen erfahren, wir wollen vor allem neue, unausgetretene Wege finden, um uns diesem geheimnisvollen, mächtigen und gefährdeten Sehnsuchtsort zu nähern“, erklären die Organisatoren Kristina Michaelis und Ralph Philipp Ziegler, die nach dem großen Erfolg der vergangenen drei Jahre nun den vierten Sommersalon unter dem Schirm der Kulturstiftung der Stadt Gelnhausen veranstalten.

Vorträge, Film und Lesung

Ins Unterholz, dorthin, wo sich Dinge entwickeln, die noch kaum sichtbar sind, begibt sich die diesjährige Vortragsreihe. Bei einer Waldwanderung mit Christian Schaefer, dem Leiter des Forstamtes Hanau-Wolfgang, sollen die Herausforderungen der modernen Forstwirtschaft, des Naturschutzes und des Klimawandels diskutiert werden – gerade vor dem Hintergrund aktueller, u.a. durch den Förster Peter Wohlleben angestoßene Alternativkonzepte, die eine Rückkehr zur „ursprünglichen“ Waldwirtschaft fordern. Auch Konstantin Kirsch, ein herausragender Utopist unter den Architekten, strebt die Harmonie mit der Natur an: mit seinem bundesweit einzigartigen „Waldgartendorf“, in dem er „lebende Häuser“ wachsen lässt – und zugleich fordert, dass auch der Mensch sich an die Bäume anpassen muss, wenn er mit, auf und in ihnen leben will.

Der Wolf steht im Mittelpunkt des Filmabends im Pali, der in Kooperation mit der FilmKunst/Kino Gelnhausen stattfindet: Gezeigt wird der außergewöhnliche, von der Kritik gefeierte Film „Wild“ von Nicolette Krebitz, in dem sich eine junge Frau nach der Begegnung mit einem Wolf mehr und mehr aus ihren bürgerlichen Zwängen befreit. Zur Einführung deckt Dr. Carsten Nowak, Leiter des Fachgebiets Naturschutzgenetik am Senckenberg-Institut in Gelnhausen, Hintergründe über die Rückkehr der Wildtiere Luchs und Wolf in die heimischen Wälder auf.

Zwischen Freiheitstrieb und eigener Begrenztheit – gerade für Dichter bietet die Natur schon immer eine reiche Projektionsfläche. Doch soll nicht in das 19. Jahrhundert geblickt werden, sondern direkt in die Gegenwart. Die türkischstämmige, 2016 mit dem Else Lasker-Schüler-Lyrikpreis ausgezeichnete Lyrikerin Safiye Can versteht es, gesellschaftliche Prozesse mit einer ganz eigenen Sprache in Verse zu übersetzen – und diese beeindruckend zu präsentieren. Marvin Scondo und Holger Schultze werden sie dabei mit Gitarre und Bass begleiten.

Konzerte

Gleich vier Konzerte, von Klassik bis Jazz werden in diesem Jahr die Villa zum Klingen bringen und laden dazu ein, Ausnahmemusiker aus allernächster Nähe zu erleben. Auch hier inspirierte der Wald: Mit dem fünfköprigen Ensemble Nobiles aus Leipzig und dem Hornquartett der Neuen Philharmonie Frankfurt wird eine jahrhundertealte Verbindung neu aufgenommen und dem Waldklang eine so stimmungsvolle wie hochkarätige Reverenz erwiesen. Aus Neuseeland, der Kulisse für das Auenland, kommen die international bekannten Solisten Eric Lamb und Martin Rummel nach Gelnhausen und werden mit Flöte und Cello Mozart und Bach auf atemberaubende Weise neu arrangieren. Das Hamburger Singer-Songwriter-Duo „Sasa & der Bootsmann“ besingt die menschliche Natur in all ihren Untiefen mit leiser Melancholie und ganz viel nordischem Charme. Dazwischen rezitiert „Bootsmann“ Stephan Möller-Titel, der zugleich ein vielbeschäftigter Schauspieler ist, mit Sasa Jansen Innenansichten von den Landpartien der Becker-Schöffers und Märchenhaftes von Brentano.

Und noch eine Hamburgerin kommt in die Villa: Ulita Knaus, eine der wenigen weiblichen Jazz-Größen in Deutschland, wird in diesem Jahr das große Abschlusskonzert, den Jazz im Park bestreiten. Gemeinsam mit ihrem Pianisten Tino Derado präsentiert sie u.a. Stücke aus ihrem neuen Album „Love in this time“, das erst im Mai herauskommt.

Galadiner und Bar-Abend

Ein Klassiker des Sommersalons ist mittlerweile das mehrgängige Menu, für das Küchenmeister Matthias Rieß durchweg hochwertige Produkte aus der Region verarbeiten wird. Uralte Kochtechniken wie das Fermentieren oder das Grillen und Räuchern mit Waldaromen werden wiederbelebt. Dazu gesellen sich heimische Wildkräuter, die am Nachmittag bei einem Wildkräuterspaziergang mit Erika Dittmeier-Ditzel gesucht und gekostet werden können. Der Bar-Abend rund um die Weiße Villa rundet das Programm ab. Nach dem großen Erfolg des vergangenen Jahres wird die „Tan(n)z-Bar“ erneut den Sommersalon eröffnen und lädt mit zwei DJFloors und drei Bars dazu ein, eine lange Sommernacht zu genießen.

Im Grünen wird auch die Bildende Kunst zu finden sein: Bildhauer Faxe Müller präsentiert im Park der Villa eine Auswahl seiner Holz-Skulpturen. Eine Licht- und Ton-Installation schließlich macht das Motto „Sehnsuchtsort Wald“ zum Hör- und Augenschmaus und lädt zum abendlichen Vorbeiflanieren und Verweilen ein. Dass der Sommersalon bereits zum vierten Mal stattfinden kann, verdankt die Privatinitiative der Unterstützung zahlreicher Gelnhäuser Firmen und Privatleute. „Ein so ambitioniertes Programm in einem vergleichsweise kleinen Rahmen auf die Beine zu stellen, ist jedes Jahr eine Herausforderung, der wir uns ohne diese großartige Unterstützung kaum stellen könnten“, so die Veranstalter. Auch dass Hausbesitzer Volker Hohmann erneut seine Privaträume in der Beletage der klassizistischen Villa zur Verfügung stellt, könne man nicht hoch genug schätzen: „Der so intime wie unvergleichlich schöne Rahmen macht aus jeder Veranstaltung ein besonderes Erlebnis, das sich an keinen anderen Ort übertragen ließe.“ Doch die Organisatoren wollen sich nicht auf ihrem Erfolg ausruhen und mit wechselnden Kooperationspartnern immer wieder Neues wagen. So hoffen sie auch in diesem Jahr, mit ihrem Wald-Programm, das in dieser Form andernorts nicht zu sehen ist, ein breites Publikum anzusprechen und den Sommersalon als kulturellen Glanzpunkt in der Region zu verankern. „Der Mut unserer Gäste, sich auf völlig Unbekanntes einzulassen, steigt von Jahr zu Jahr“, freuen sich Michaelis und Ziegler und gestehen, oft selbst überrascht zu sein, was sich aus den manchmal langen Abenden am Goldenen Fuß entwickelt, in denen sich Künstler und Publikum so nahe kommen dürfen wie fast nirgends.

Eintrittskarten sind ab dem 21. April an der Infothek im Rathaus Gelnhausen erhältlich oder können ab sofort unter Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! reserviert werden. Aktuelle Informationen gibt es unter www.weisse-villa-gelnhausen.de und www.facebook.com/weissevilla.

Foto: Boll


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