Buchvorstellung und Ausstellungseröffung „Heimat“

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Warum bist du hier? Warum bleibst du? Wenn man sich mit dem Thema „Heimat“ beschäftigt, sind das die Kernfragen, die unser Leben bestimmen.



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Anlässlich des fünften Geburtstags des Sommersalons, eines zehntägigen Kulturfestivals, das jedes Jahr vor den Sommerferien in der Weißen Villa in Gelnhausen statffindet, widmen sich die Veranstalter in diesem Jahr der großen Frage des Heimatverständnisses – auf das es keine einfachen Antworten gibt. Und nicht nur eine. Begleitend zur Veranstaltungsreihe ist deshalb erstmals ein Buch enstanden, das die Menschen in der Region in den Mittelpunkt rückt.

Kristina Michaelis, die den Sommersalon vor fünf Jahren mit Ralph Philipp Ziegler gegründet hat, ist in den Monaten Februar und März losgezogen. 17 Menschen aus Gelnhausen und Umgebung hat sie befragt, darunter Künstler, Unternehmer, Sportler, Politiker und Geflüchtete. Sie wollte herausfinden, warum die Menschen hergekommen, und noch wichtiger: warum sie hiergeblieben sind. Was sie erfüllt, was ihre Wurzeln und Ziele sind. Worin Heimat für sie besteht. Intensive Gespräche führten zu bemerkenswerten Einsichten. Etwa, dass Fragen zu der politischen Bedeutung von Heimat, dem Verständnis von Grenzen und der eigenen Positionierung überhaupt nicht weiter halfen. „Das war viel zu theoretisch und führte nicht zu dem, was ich herausfinden wollte“, erzählt Kristina Michaelis.

„Wir sprachen dann über die Kindheit, und mein Gegenüber begann, aus seinem Leben zu erzählen. Über Fernweh, Abenteuer, die abgebrochene Karriere, unfreiwillige Abschiede, Befreiungsschläge. Und zwischen all den Aufs und Abs schien sie hindurch, ohne dass man das Wort auch nur aussprechen musste: die Heimat.“ Die 17 Porträts, die auf der Basis dieser Gespräche entstanden sind, schildern berührende Anekdoten über das Weggehen und Ankommen. Sie entwerfen einen Heimatbegriff, der sich mit dem Fortschreiten des Lebens verändert, der immer wieder neu erobert werden muss – und der überraschend vielgestaltig ist. Delshah Ali, die mit ihrer Familie aus Syrien fliehen musste, erzählt, dass sie abends mit geschlossenen Augen dem Feierabendverkehr lausche, weil er sie an das Großstadtrauschen von Aleppo erinnere. Das „Gelnhäuser Original“ Willi Kurz berichtet, dass er gar nicht aus Gelnhausen kommt. Der ehemalige CDU-Generalsekretär Peter Tauber fühlt sich mit der Marienkirche in Gelnhausen so eng verbunden, dass er ihre Geodaten auf dem Körper trägt. Und Joan Rose Chantrell, die in England geboren wurde, kann nicht aufhören, in Gelnhausen nach den Spuren ihres Vaters Alfred Buxbaum zu suchen, der 1938 aus Gelnhausen vertrieben wurde.

„Die meisten Geschichten handeln mehr vom Suchen als vom Finden“, sagt Michaelis. „Doch trotz der Unterschiedlichkeit der Lebensläufe gibt es etwas, das alle eint: Die Sehnsucht, geborgen und anerkannt zu sein, verstanden zu werden, einen geschützten Raum zu haben, in dem man sich entfalten kann.“ Auf Repräsentativität kam es ihr bei der Auswahl der Protagonisten nicht an. „Das konnten wir in diesem Rahmen auch gar nicht leisten“, sagt sie. „Aber indem wir völlig unterschiedlich sozialisierte Menschen aus einer eher ländlich geprägten Region zu Wort kommen lassen, eröffnet sich abseits der abgegriffenen Heimat-Klischees ein Horizont, der viel Raum schafft für das, was Menschen in dieser schnellen, sich rasch wandelnen Zeit bewegt – und für die wichtige Erkenntnis, dass Weltoffenheit und Heimatverbundenheit keine Gegensätze sein müssen.“ Auf der Basis dieser Vielstimmigkeit ist das Buch eine kritische Auseinandersetzung mit der Heimat – und zugleich eine liebevolle Hommage vor dem Hintergrund einer Zeit, in der der alte, vielfach überfachtete Begriff auf ganz neue Lebensumstände angewendet werden muss.

Atmosphärische Schwarz-Weiß-Porträts, aufgenommen von dem renommierten Architektur- und Porträtfotografen Robertino Nikolic, der vor kurzem in der Kategorie Porträts mit dem GoSee Award in Gold ausgezeichnet wurde, zeigen die Protagonisten in ihrem persönlichen Umfeld und an ihren Lieblingsorten und geben auf knapp 130 Seiten einen intimen Einblick in das, was sie Heimat nennen.

Ausstellung

Die Porträts der 17 Protagonisten werden im Rahmen des Sommersalons in der Weißen Villa außerdem zehn Tage lang in Form einer Ausstellung zu sehen sein und können im Anschluss auf Wanderschaft gehen. Ergänzt wird die Ausstellung durch originelle Heimat-Stationen, die Kristina Michaelis gemeinsam mit Studenten der Leuphana-Universität Lüneburg konzipiert hat. Als Beitrag der jüngeren Generationen sollen sie eine Idee von Heimat schaffen, die wir selber mitgestalten können und für deren Ausgestaltung wir viel Verantwortung tragen.

Unterstützt wurde dieses ambitionierte Projekt, das das erste dieser Art in der Region ist, durch das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst, die Kulturstiftung der Sparkassen Hessen-Thüringen, den Main-Kinzig.Kreis und zahlreiche regionale Sponsoren. Die Vernissage der Ausstellung findet gemeinsam mit der Buchvorstellung am 16. Juni um 17 Uhr im Großen Salon der Weißen Villa im Herzbachweg 2 in Gelnhausen statt.


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