Land Hessen versagt beim Artenschutz

Hessen
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Um die Artenvielfalt in Hessen zu bewahren, hat die Landesregierung vor sieben Jahren die Hessische Biodiversitätsstrategie ins Leben gerufen.



Im Rahmen des Programms sollten bis Ende 2020 deutliche Verbesserungen beim Schutz der Tier- und Pflanzenarten erreicht werden. Der NABU Hessen hat nun eine Bilanz gezogen: „Statt einer Verbesserung ist in den Jahren seit Verkündung der Nationalen Biodiversitätsstrategie eine weitere Verschlechterung der Situation der meisten Arten in Hessen eingetreten“, erklärt Gerhard Eppler, Landesvorsitzender des NABU Hessen. So seien in der Zeitspanne 2007 bis 2019 die Vogelarten Spießente, Birkhuhn und Uferschnepfe in Hessen als Brutvögel ausgestorben. Die Zahl der nach der europäischen Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie zu schützenden Arten im „ungünstigen Erhaltungszustand“ erhöhte sich von 44 (2007) auf 61 (2019). Die Zahl der Arten im „günstigen“ Zustand verringert sich von 30 auf 26. Nur für sechs Arten hat sich die Situation seither verbessert, für Biber, Wildkatze, Äskulapnatter, Steinbeißer, Helm-Azurjungfer und Große Moosjunger. Hingegen hat sie sich für 13 Arten verschlechtert. Darunter sind vier Fledermausarten, vier Amphibienarten, drei Ameisen-Bläulinge, die Zauneidechse, der Eremit und die Äsche. Die NABU-Bilanz basiert auf einer Antwort des Landes auf eine Großen Landtagsanfrage der Fraktion „Die Linke“ vom 25. März 2021.

Agrarlandschaft
In der Agrarlandschaft ist der Artenrückgang besonders sichtbar: „Der hessische Bestand von Braunkehlchen, Wiesenpieper und Rebhuhn hat in den letzten 12 Jahren um die Hälfte abgenommen. Bei Kiebitz, Grauammer, Goldammer und Feldlerche sind es 20 Prozent“, so der Biologe Eppler. Ziel der Nationalen Biodiversitätsstrategie war es, bis 2015 den Flächenanteil naturschutzfachlich wertvoller Agrarbiotope, also von artenreichem Grünland und Streuobstwiesen, um mindestens 10% gegenüber 2005 zu erhöhen. Eine Bewertung kann über den „High-Nature-Value-Farmland-Indikator“ erfolgen. Der Indikator bilanziert den Anteil der Landwirtschaftsflächen mit hohem Naturwert an der gesamten Landwirtschaftsfläche. Dieser fiel in Hessen von 16,3% (2007) auf 15,1% (2017) ab.

Fließgewässer: Auch in Hessens Fließgewässern geht das Artensterben weiter: Von 1998 bis 2016 erhöhte sich die Zahl der in Hessen ausgestorbenen Köcherfliegenarten von 20 auf 27, die der ausgestorbenen Steinfliegen von 2 auf 5. Immerhin deutlich verbessert hat sich aber die Situation der Fische von 1996 bis 2014: Die Zahl der stark gefährdeten oder vom Aussterben bedrohten Arten sank von 14 auf 6 Arten.

Verantwortungsarten: Es gibt Arten, deren Verbreitung in Europa oder in der Welt so begrenzt ist, dass Deutschland eine besondere Verantwortung zum Schutz zukommt. Die Nationale Biodiversitätsstrategie hatte daher das Ziel formuliert, dass diese Arten bis 2020 in überlebensfähige Populationen gebracht werden sollen. Davon ist das Land noch weit entfernt: Von den 32 für Hessen relevanten Vogelarten sind nur ein Viertel als „günstig“ bewertet, 75% hingegen als ungünstig. Auch für Verantwortungs-Arten wie die Smaragdeidechse, die Äskulapnatter, der Moorfrosch, die Europäische Sumpfschildkröte und die Bachmuschel wird der Bestandszustand nach wie vor als „ungünstig“ bewertet.

Lebensräume: Laut der Nationalen Biodiversitätsstrategie sollten bis 2020 alle Lebensraumtypen gemäß der europäischen Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie einen gegenüber 2005 deutlich besseren Erhaltungszustand aufweisen. Tatsächlich hat kein einziger FFH-Lebensraumtyp von 2007 bis 2019 seinen Erhaltungszustand um eine Bewertungsstufe verbessern können. Die Summe der Lebensraumtypen, die in Hessen einen ungünstigen Erhaltungszustand aufweisen, ist sogar im gleichen Zeitraum von 31 auf 38 angestiegen.

Schutzgebietsmanagement: Laut der Nationalen Biodiversitätsstrategie sollte bis 2020 ein gut funktionierendes Managementsystem für alle Großschutzgebiete und Natura 2000-Gebiete etabliert sein. Tatsächlich gingen im vergangenen Jahr zwei Vertragsverletzungs-Verfahren der EU-Kommission in die heiße Phase. Eines richtet sich gegen die inhaltsschwache Unterschutzstellung. So kritisiert die EU, dass die Erhaltungsziele für Arten und Lebensräume zu unkonkret, nicht gebietsspezifisch und nicht quantifiziert sind. „Wo keine konkreten Ziele in Zahlen festgelegt sind, kann auch kein Erfolg oder Misserfolg festgestellt werden“, kritisiert Eppler. Im zweiten Verfahren prangert die EU Deutschland wegen des Verlustes von artenreichem Grünland an. Auch in Hessen haben wertvolle Bergmähwiesen allein in drei Gebieten in der Rhön und im Westerwald um über 200 Hektar abgenommen.
Das Land rechtfertigt das unzureichende Management damit, dass die Schutzverordnungen der europäischer Schutzgebiete mit Allgemeinverfügungen oder Einzelanordnungen bei Bedarf konkretisiert werden könnten, z.B. zur Minderung der Störung durch Jagd oder Besucherverkehr. Tatsächlich wurden in der Zeit von 2008 bis 2019 aber nur für 8 der 645 europäischen Schutzgebieten solche Regelungen getroffen

Niedermoore: Laut Nationaler Biodiversitätsstrategie sollte eine natürliche Entwicklung auf 20% der heute extensiv genutzten Niedermoore bis 2020 erreicht werden. Das Ziel wurde bisher nicht in die hessische Strategie übernommen. Die NABU-Stiftung Hessisches Naturerbe hat aber gemeinsam mit dem Land ein Hilfsprojekt zum Schutz von 60 Niedermooren begonnen.

NABU fordert Fünf-Punkte-Plan
Die Landesregierung hat, so der NABU, noch viel zu tun, um die biologische Vielfalt dauerhaft zu sichern. „Wir erwarten vom Land, beim Schutz der heimischen Tier- und Pflanzenwelt einen prioritären Fünf-Punkte-Plan umzusetzen. Er besteht aus den Kernpunkten große Artenschutzoffensive, Landwirtschaft, Forst und Fischerei reformieren, Klimaschutz voranbringen, neue Lebensräume bereitstellen und Schutzgebiets-Management verbessern“, umreißt Eppler das Aufgabenpaket.

1. Große Artenschutzoffensive
Um endlich im Artenschutz voranzukommen, braucht es umfassende Artenhilfsprogramme für alle bedrohten Tiere und Pflanzen. Die Programme müssen dafür sorgen, dass ausreichende Möglichkeiten zur ungestörten Fortpflanzung und genug Nahrung zum dauerhaften Überleben vorhanden ist. Wie die Praxis der letzten Jahre zeigt, reichen vereinzelte Artenhilfskonzepte nicht aus. Die Hessische Biodiversitätsstrategie muss um messbare Zielen ergänzt werden.

2. Landwirtschaft, Forst und Fischerei reformieren
Noch immer gilt nach dem Bundesnaturschutzgesetz, dass die Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft „in der Regel nicht den Zielen des Naturschutzes und der Landschaftspflege widerspricht“. Die Regelungen zur „guten fachlichen Praxis“ sind offensichtlich völlig unzureichend und müssen dringend reformiert werden. In der hessischen Agrarförderung muss künftig gelten: Öffentliches Geld gibt es nur für öffentliche Leistungen. Über den Vertragsnaturschutz müssen besondere Naturschutzleistungen honoriert werden.

3. Klimaschutz voranbringen
Durch den Klimawandel sind in Hessen 234 gefährdete Tier- und Pflanzenarten sowie 31 Lebensraumtypen zusätzlich bedroht. Das Artensterben macht an unseren Grenzen aber nicht halt: Weltweit könnten über 15 % aller Arten aussterben. So bedroht die Klimaerwärmung auch Korallenriffe mit vielen tausend Arten. Daher muss das Land effektive Maßnahmen zum Bremsen der Klimaerwärmung ergreifen. Hierzu gehören auch Programme zum Energiesparen und zur Förderung der Solarenergie auf Hausdächern.

4. Neue Lebensräume bereitstellen
Da die Natur eine endliche Ressource ist, muss der Landschaftsverbrauch deutlich verringert und mittelfristig gestoppt werden. Stattdessen gilt es, gefährdeten Tieren und Pflanzen neue Lebensräume bereitzustellen. Dafür muss das Land eigene Landesflächen bereitstellen und ein ambitioniertes Ankaufprogramm für weitere Biotope auflegen. Hier spielen Naturwälder und Gewässer-Entwicklungsstreifen eine wichtige Rolle.

5. Schutzgebiets-Management verbessern
Viele europäische Schutzgebiete sind in einem ungünstigen Erhaltungszustand, ihre Zielsetzungen sind unkonkret und nicht messbar. Das Land muss deshalb die Verordnungen nachschärfen und ein effektives Schutzgebiets-Management etablieren. Dazu gehören wirksame Einschränkungen in der Bewirtschaftung und umfassende Konzepte zur Besucherlenkung. In das Management sind auch die ehrenamtlich tätigen NABU-Schutzgebietsbetreuer mit einzubeziehen.

Weitere Informationen
NABU-Bilanz der Hessischen Biodiversitätsstrategie: https://hessen.nabu.de/naturundlandschaft/naturschutz/hessischebiodiversitaetsstrategie/29771.html
Niedermoorprojekt der NABU-Stiftung Hessisches Naturerbe: https://hessen.nabu.de/wirueberuns/stiftung/zieleundprojekte/niedermoorprojekt/


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