Sport als Spielball der Politik

Von links: Jürgen May, Dr. René Wiese, Stefan Schildknecht.

Gelnhausen
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Kurz vor den Sommerfeien bot sich zwei Kursen aus der E-Phase und einer 10. Klasse dank der Initiative der Fachschaft Sport um Stefan Schildknecht die Möglichkeit, mit Jürgen May – Olympiateilnehmer und ehemaliger Weltmeister im Bereich der Mittelstrecke – über die Instrumentalisierung des Sports durch die Politik sowie seine Erfahrungen im System der DDR ins Gespräch zu kommen.



Neben der Problematik einer gesamtdeutschen Olympiamannschaft zu Zeiten des Kalten Krieges interessierten sich die Schülerinnen und Schüler besonders für die Flucht Jürgen Mays aus der DDR in die Bundesrepublik mit Hilfe des Westdeutschen Sportkameraden Karl Eyerkaufer, dem langjährigen Landrat des Main-Kinzig-Kreises.

Die Veranstaltung, die durch Dr. René Wiese vom Zentrum deutsche Sportgeschichte Berlin moderiert wurde, führte das Publikum mit Hilfe des Dokumentarfilms „Die Kalten Ringe“ in die besondere Ost-West-Problematik des Sports im Kalten Krieg ein – denn so gut wie verloren im Gedächtnis ist die Tatsache, dass für die Spiele 1964 in Tokio letztmalig eine gesamtdeutsche Mannschaft antreten musste. Bereits 1956 und 1960 mussten die Deutschen in Ost und West unter Zwang des IOC ein gemeinsames Team bilden. IOC-Präsident Avery Brundage hatte die Vision, dass mit der Kraft des Sports politische Grenzen überwunden werden könnten.

Hiervon war Jürgen May direkt betroffen, was im anschließenden Gespräch lebhaft und detailliert erläutert wurde. Besonders die Austragung des „Wettstreits der verschiedenen politischen Systeme“ über den Sport durch die Nominierung für die Olympischen Spiele wurde von ihm anhand teils bizarrer Situationen dargestellt. Für Sportler im Osten war der Kontakt mit dem „Klassenfeind“ unerwünscht und seine Freundschaft mit Karl Eyerkaufer sowie andere Freundschaften zwischen Ost- und WestDeutschen wurden von den politisch beeinflussten Sportverbänden kritisch beobachtet. Doch mit dem Mauerbau 1961 wurde die damalige olympische Praxis durch die Realität des Kalten Krieges eingeholt – es gab fortan zwei deutsche Mannschaften bei den Olympischen Spielen.

Der politische Druck auf die Sportler im Osten erhöhte sich. Auch Jürgen May war davon betroffen und wurde international durch die DDR gesperrt – vorgeschoben hatte man einen Verstoß gegen das Amateurstatut. Dies bestärkte Jürgen May darin, aus der DDR zu fliehen und einen Neuanfang in Westdeutschland, also in der Bundesrepublik, zu starten. Mit Hilfe des Sportkameraden Karl Eyerkaufer, zu dem auch während der Sperre der Kontakt nicht abgerissen war, gelang 1967 eine spektakuläre Flucht in den Westen – jedoch konnte er jahrelang nicht bei internationalen Wettkämpfen für die Bundesrepublik Deutschland starten, da die DDR ihr Veto einlegte und ihn nicht freigab.

Die Biografie von Jürgen May ist ein Beispiel dafür, wie Spitzensportler in die Fänge der DDR-Staatssicherheit gerieten und in der Systemauseinandersetzung des Kalten Krieges aufgerieben wurden. Die Erfahrungen schilderte er sehr eindringlich und die Schülerinnen und Schüler konnten erkennen, dass – anders als auch heutzutage immer wieder durch das IOC und seinen Präsidenten Thomas Bach behauptet – der Sport sehr wohl „politisch“ ist und die Gesellschaft, ebenso wie die Sportler, Stellung beziehen und Haltung zeigen sollte. Dies zu vermitteln ist dem Grimmels als Schule besonders wichtig. Im Rahmen der politischen Bildung wird versucht, durch solche Veranstaltungen ein Bewusstsein dafür zu schaffen und so die politische Teilhabe zu fördern.

Das Grimmels dankt Jürgen May und Dr. René Wiese, die den Schülerinnen und Schülern durch Unterstützung der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung einen spannenden und interessanten Vormittag ermöglicht haben.

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Von links: Jürgen May, Dr. René Wiese, Stefan Schildknecht.


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