Gegen das Vergessen

Hanau
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Vom 7.11. bis 9.11.18 fanden an der Hohen Landesschule (HOLA) drei Veranstaltungen zum Gedenken an die Novemberpogrome 1938 statt.



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In Kooperation mit der Anne-Frank-Bildungsstätte Frankfurt, dem Fritz Bauer Institut und dem Jüdischen Museum Frankfurt hatten Schülerinnen und Schüler der Oberstufe die Gelegenheit, sich in zwei Zeitzeugenveranstaltungen und zwei Workshops kritisch mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen und für die Gegenwart und Zukunft zu lernen.

Projektleiterin Petra Rentschler ist stolz darauf, dass Frau Trude Simonsohn, mehrfach für ihr Engagement und ihren Einsatz für Verständigung und Versöhnung ausgezeichnet, für ein Gespräch am 9. November, der „Reichspogromnacht“, als Zeitzeugin gewonnen werden konnte. Trude Simonsohn ist Ehrenbürgerin der Stadt Frankfurt am Main. Die hochbetagte Dame, die seit einiger Zeit keine Gesprächstermine mehr wahrnimmt, an der Hohen Landesschule erleben zu können, erwies sich für alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer als besonderes, unwiederbringliches Erlebnis.

Trude Simonsohn, 1921 in Olmütz (heute Tschechien) geboren, wuchs in einem liberalen jüdischen Elternhaus auf und hatte bis zum Einmarsch der deutschen Truppen das deutsche Gymnasium besucht. 1942 wurde sie verhaftet. Sie wurde nach Theresienstadt deportiert und 1944 weiter nach Auschwitz und in das Vernichtungslager Birkenau. „Ich habe an nichts mehr geglaubt, auch an Gott nicht“, so schildert sie ihre Verfassung. Als „allerschlimmsten Moment der Befreiung“ bezeichnet sie ihre kurze Rückkehr in ihre Geburtsstadt. Alles war zerstört, keiner ihrer Angehörigen hatte überlebt.

„Lagergeld“ aus Theresienstadt und ein Bändchen mit Kinderzeichnungen und Aquarellen aus Theresienstadt gingen von Hand zu Hand und brachten ein Stück erschütternde Vergangenheit buchstäblich greifbar in die Hände der Schülerinnen und Schüler. Mit ihrem Mann, dem Juristen Dr. Simonsohn, den sie im Lager Theresienstadt kennengelernt hatte, zog sie schließlich nach Frankfurt am Main. Seit 1978 spricht sie öffentlich über ihre Vergangenheit, legt ihre Erinnerungen in einem Buch nieder.

Ihre Geistesgegenwart und Entschiedenheit hinterließen bei allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern tiefe Betroffenheit. Zahlreiche Fragen und Diskussionsbeiträge waren die Folge und die Dankbarkeit, dass ein Gespräch mit einer mutigen Frau, die die Zeit der Verfolgung erfahren und für die nachfolgenden Generationen in ein fruchtbares Engagement gebracht hat, noch möglich war.

Als Zeitzeuge der zweiten Generation konnte die Hohe Landesschule den in Offenbach lebenden Journalisten Anton Jakob Weinberger gewinnen. Herr Weinberger eröffnete die Veranstaltungsreihe am 7. November. In einem Lager für Displaced Persons 1949 geboren, verbrachte er die ersten Jahre seiner Kindheit hinter Stacheldraht und Schlagbaum, bewacht von US-Soldaten. Die orthodoxe jüdische Familie war aus Rumänien nach Deutschland geflüchtet mit dem nie verwirklichten Ziel, nach Amerika auszuwandern. Auf die Frage: „Wie hat Ihre Familie die Shoah erlebt?“ erfuhren die Schülerinnen und Schüler, dass der Junge auf eine Mauer des Schweigens stieß. Ein Großteil der Angehörigen war ermordet worden, der Vater musste Zwangsarbeit in einem Lager in der Ukraine leisten. Er sprach nicht darüber; ebenso wenig wie die überlebenden Täter und Mitwisser. 1955 erhielt die Familie in Frankfurt eine Wohnung zugewiesen. Die Eltern haben sich zeitlebens geweigert, die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen. Ein Mal brach die Mutter ihr Schweigen, als sie ihrem Sohn den Rat gab: „Gib keinem älteren Mann die Hand, es könnte der sein, der deinen Großvater ermordet hat.“

Nicht nur die Vergangenheit, auch die Gegenwart antisemitischer Bewegungen wurde von den Schülerinnen und Schülern mit dem Zeitzeugen diskutiert, der insbesondere für aktuelle Fragen des Judentums sensibilisieren möchte. Für zwei jeweils dreistündige Workshops zu Formen des Erinnerns am Beispiel der Familie Levi aus Nidderau-Ostheim konnte Petra Rentschler das Pädagogische Zentrum des Fritz Bauer Instituts und des Jüdischen Museums Frankfurt gewinnen. Die Referentinnen Paola Widmaier und Dilara Kanbicak verfolgten anhand von Fotografien, Dokumenten und Selbstzeugnissen das Schicksal der Familie Levi und deren Deportation. So wurden an einzelnen Schicksalen aus der unmittelbaren Umgebung Verfolgung und Ermordung jüdischer Bürger thematisiert. Anonyme Zahlen von Deportierten und Ermordeten erhielten ein individuelles Gesicht; und bekannte Orte wurden auf ihre Geschichte hinterfragt.

Die Schülerinnen und Schüler konnten ihre eigene Position und persönliche Form des Erinnerns zu Beginn und am Ende der gemeinsamen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit reflektieren. Alle beteiligten Schülerinnen und Schüler sowie Lehrkräfte danken der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung sowie den Freunden und Förderern der Hohen Landesschule für die finanzielle Unterstützung, ohne die diese Veranstaltungen nicht hätten stattfinden können.

Foto: Zeitzeugin Frau Trude Simonsohn (vorne, Mitte im schwarzen Oberteil) mit den Gesprächsteilnehmerinnen und -teilnehmern.
Foto: Die Referentinnen des Pädagogischen Zentrums Frankfurt stellen den Workshop zu „Formen des Erinnerns“ vor.


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