„Pastellan“ oder der Mut, Vielfalt auszuhalten

Hanau
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„Die beste Zeit, einen Baum zu pflanzen, war bereits vor vielen Jahren. Die zweitbeste Zeit ist JETZT!“ Lebenserfahren wie er ist, weiß der alte grüne Pastellaner (im Stück gespielt von Linus Kopetsch) schon früh, was seiner Stadtgesellschaft guttut.



Einer Stadtgesellschaft, die vieles aushalten muss in den gut 1 ½ Stunden, die das Stück „Pastellan“ in der Aufführung der Musical-AG der Otto-Hahn-Schule dauert. Das von einem friedlichen Miteinander geprägte Leben der Bewohner wird durch ein einschneidendes Ereignis von ei­nem Tag auf den anderen verändert. Es folgt eine lange Episode gegenseitigen Misstrau­ens, in der die einzelnen Gruppierungen sich voneinander ab- und gegenseitig ausgrenzen. Der „Rat der Durstigen“, der die Stadtgesellschaft regiert, weiß zwar früh, wie der zermürbende Konflikt gelöst und die Stadtgesellschaft wieder ins Gleichgewicht gebracht werden könnte. Doch die „B-ürgerinnen und B-ürger von P-astellan“, wie sie von ihrer Königin (im Stück gespielt von Stefanie Dietrich) bei deren Ansprachen angeredet werden, folgen den Ideen ihrer politischen Füh­rung lange nicht.

Das Skript des Stücks, geschrieben von Bianca Rumenjak auf Basis von einem von Eva Bollandt-Ditzen nach dem Anschlag vom 19. Februar 2020 verfassten Märchen, ist in seinem Erzählstrang zeitlos und aktuell. Nun wird es von einigen Schülerinnen und Schülern der Musical-AG unter der Leitung ihrer Lehrerinnen Annabel Calzado-Leckert und Marina Beermann sowie der Regie des ehemaligen Schülers und Lehr­amtsstudenten Huy Duc Tran auf die Bühne gebracht. Das Theaterprojekt hatte im Juni schon für seine Konzeption den ersten Platz des Nachhaltigkeits­preises der Stadt Hanau („Jurypreis“) gewonnen. Die Juroren des Klaus-Remer-Preises, mit dem Theater-Projekte an Hanauer Schulen gefördert werden, saßen erwartungsvoll im Publikum. Und auch Dr. Beate Heraeus, die mit der Bildungsstiftung Heraeus bundesweit Führungs- oder Projektverantwortung an Schulen fördert und schult und die Arbeit der Musical-AG schon lange begleitet, ließ es sich nicht nehmen, der Einladung persönlich zu folgen, um dem Team ihre Anerkennung auszusprechen.

Viel Vorschusslorbeeren also für die letzte der insgesamt fünf öffentlichen Aufführungen am vergange­nen Samstag im Brüder-Grimm-Forum der Schule. Das aus 20 Schülerinnen und Schülern be­stehende Ensemble, in dem von der Jahrgangsstufe 6 bis zur Oberstufe alle Altersstufen ver­treten waren, hatte sich vorgenommen, ein erzähltes Format als Theaterstück aufzuführen und mit Musical-Elementen zu verbinden. Die Herausforderung der Musical-AG, nicht nur Musik und Tanz, sondern auch Schauspiel zu verbinden, stellte am Anfang des Abends Schulleiterin Susan Stein heraus. Sie begrüßte das Publikum im gut gefüllten Fo­rum sehr herzlich, voller Stolz auf ihre Schüler und in Vorfreude auf das Stück. Beate Funck, Stadtverordnetenvorsteherin und Vorstandsmitglied der Hanauer Kulturloge, übernahm es dann, kundig in das Stück sowie die beteiligten Akteure einzuführen. Wichtig war ihr als Politikerin daran zu erinnern, dass eine Stadtgesellschaft immer und überall aufgefordert sei, schlechte Rede mit besserer zu kontern und auf Hass nicht mit Hass zu antworten. Vor allem aber fand sie, aus der großen Zahl ehemaliger „Ottos“ im Publikum wie hinter den Kulissen könne man ersehen, wie viel Freude und Gemeinsames durch Theater und Musical entstehen und die Zeiten als verbindendes Element überdauern könne. „Geht raus und spielt – wir freuen uns auf Euch!“ war die Botschaft beider Vorrednerinnen.

Dann öffnete sich der Vorhang und gab das Bild frei auf den Marktplatz von Pastellan. Man sah zur Linken einen Baum, bestückt mit Äpfeln in den verschiedenen Farben der Pastellaner und zur Rechten ein stilisiertes Denkmal der Gebrüder Grimm. Die Musik setzte ein und die Musical-AG brachte ihre Gala vor „großem Publikum“ in zwei Akten mit Leidenschaft und Herzblut auf die Bühne. Gekleidet in pastellgetönten Kostümen mit farblich abgestimmten Perücken fla­nierten sie zunächst fröhlich und lachend auf dem zentralen Platz der Stadt. Nach der nächt­lichen Tat eines grünen Pastellaners, gespielt von Elias Schneider, der schwarz gewandet dem Baum mit einem harten Schnitt den Garaus beschert hatte, zankten, schubsten und stritten sie sich par excellence. Das war dann auch die Passage des Stücks, bei dem manch einer der Zuschauer dachte, die Regie dürfte sie 1:1 der Situation des real existierenden Klassenraums nachempfunden ha­ben. Im zweiten Akt hatte der Rat der Durstigen – ein witziger Regieeinfall, diesen von Schülern der Oberstufe spielen zu lassen, die von einem Boten mithilfe einer Tröte angekün­digt wurden – dann alle Register gezogen. Nachdem Zureden nichts geholfen hatte, belegte der Zauberer als deren Mitglied die Ge­sellschaft mit einem Fluch und lähmte sie. Die Pastellaner bewegten und sprachen fortan im Zeitlupentempo. Doch der erhoffte Erfolg, die künstlich erzeugte Krise möge die Ge­meinschaft wieder zueinander führen, blieb zunächst aus. Der Erkenntnisgewinn, dass nur derjenige gewinnt, der seine Vorbehalte aufgibt und auf den anderen zugeht, blieb dann aus­gerechnet den beiden schwächsten Gliedern zweier Pastellaner-Gruppierungen vorbehalten. Dieses gute Ende war zwar frühzeitig vorhersehbar. Die Vorhersehbarkeit war in diesem Fall aber wohl auch dem Umstand geschuldet, dass es sich bei dem Originaltitel „Der goldene Siebenmeilenstiefel oder: mit großen Schritten in die Zukunft von Pastellan“ erstens um ein Märchen und zweitens um ein Stück handelt, das weniger für Erwachsene als vielmehr für Kinder verfasst worden ist.

Die musikalische Brücke zu allen Generationen einer Stadtgesellschaft in Deutschland bauten Lieder, die sehr sorgfältig an wesentlichen Stellen des Stücks platziert und teilweise live am Piano be­gleitet wurden. Es waren Lieder, die erstmals in Zeiten zu Hits wurden, als manche der Schauspieler nicht einmal geboren wa­ren. Und doch bewegten sie unverändert die Schauspieler ebenso wie ihr Publikum: „An Tagen wie diesen!“ (die Toten Hosen; Chor) begleitete den fröhlich-harmonischen Anfang. „Still“ (Jupiter Jones; Chor) war nach dem Niedergang des Baums dann das Lied, das auf den historischen Kontext des Stücks hinwies. Der weise Alte beklagte als grüner Pastellaner die entstandene Ausgrenzung der Stadtgesellschaft eindrucksvoll mit „Durch die schweren Zeiten“ (Udo Lindenberg; Solo). Den Schlussakkord setzte die Musical-AG mit „Ein Hoch auf uns – und dieses Leben!“ (Andreas Bourani; Chor). Und als dann 20 glückliche Schülerinnen und Schüler „auf den Moment, der immer bleibt“ hüpften und sangen, gab es wohl keinen im Forum, der sich nicht mit ihnen über die gelungene Gala freute und von dieser Magie getanzter Lebensfreude anstecken ließ.

Das Publikum dankte es den Akteuren vor und hinter der Bühne mit langem Applaus. Die ein­genommenen Spendengelder gehen u.a. an die Hessische Polizeiseelsorge, worüber sich Sabine Christe-Philippi, deren Landesbeauftragte, im Namen der Bedachten besonders freute.

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