Zwischen Kinderwunsch und Designer-Baby

Hanau
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Die modernen Möglichkeiten der Fortpflanzungstechnik verändern auch die Geburtsmedizin.



praenatal holapraenatal hola1praenatal hola2praenatal hola3Es stellen sich viele neue Fragen und Herausforderungen. Nicht nur für die Frauen, sondern auch für die Ärzte. Über das Spannungsverhältnis zwischen Kinderwunsch und „Schwangerschaft auf Probe“ sprach jetzt der Chefarzt der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe im Klinikum Hanau, Privatdozent Dr. med. Thomas Müller, vor Schülerinnen und Schülern der gymnasialen Oberstufe in der Hohen Landesschule (HOLA).

„Schwangerschaft auf Probe? - Möglichkeiten und Grenzen der vorgeburtlichen Diagnostik“, hatte Privatdozent Dr. Müller seinen Vortrag provokativ überschrieben. Für Dr. Müller handelte es sich um ein Heimspiel, da er doch selbst 1983 an der HOLA sein Abitur ablegte und dabei überraschenderweise in Biologie „nur“ den Grundkurs belegte. Sein damaliger Lehrer, Biologie-Fachsprecher Dr. Hubert Müller, freute sich nun, seinen ehemaligen Schüler nach über 30 Jahren als Referenten vorzustellen.

Was genau darf man sich unter dieser Thematik eigentlich vorstellen? Katharina Nebeling, Schülerin der 11. Jahrgangsstufe der HOLA, erklärt das Thema wie folgt: „Schwangerschaft auf Probe“ bezieht sich auf die immer vielfältiger werdenden Methoden der vorgeburtlichen Diagnostik und die dadurch immer genaueren Vorhersagen von Krankheitsbildern, welche dann zu einem gewollten Abbruch der Schwangerschaft führen könnten. Demnach werden Frauen zunächst schwanger, erfahren nach einiger Zeit, ob das Kind krank oder gesund sei und würden sich dann erst entscheiden, ob sie es behalten wollen oder nicht – sie wären sozusagen nur „auf Probe schwanger“. So laute zumindest die Befürchtung mancher Kritiker der vorgeburtlichen Diagnostik.

Die Deutsche Ärztekammer erklärt dagegen zu dieser Thematik: „Die pränatale Diagnostik dient dazu, die Schwangere von der Angst vor einem kranken oder behinderten Kind zu befreien sowie Entwicklungsstörungen des Ungeborenen so zu erkennen, dass eine intrauterine Therapie oder eine adäquate Geburtsplanung (durch das Hinzuziehen von Spezialisten) erfolgen kann“ (www.bundesaerztekammer.de/downloads/schwangerpdf.pdf).

Die Ärztekammer spricht hier also nicht nur die allgemeine Aufklärung der Mutter an, sondern auch, wie dem Kind in speziellen Fällen auch durch frühzeitige Diagnostik schon im Mutterleib geholfen werden kann, oder dass es, z.B. bei einem Herzfehler, direkt in einer entsprechenden speziellen Klinik entbunden werden kann.

Dr. Thomas Müller machte an realen Beispielen immer wieder deutlich, dass gerade bei der Frage des Schwangerschaftsabbruches die genaue Aufklärung der Mutter über sämtliche möglichen Alternativen sehr wichtig sei, da nur so mögliche falsche Entscheidungen vermieden werden können. Zudem würden auch immer Zeitfenster für die betroffenen Frauen eingebaut, immer in der Hoffnung, dass die Schwangere es sich doch noch anders überlegt.

Ein wesentlicher Aspekt des Vortrags war die In-Vitro-Fertilisation (IVF). Die IVF erfolgt durch künstliche Befruchtung von operativ gewonnenen Eizellen außerhalb des Körpers. 80 % dieser durch IVF entstandenen Embryonen wiesen jedoch deutliche genetische Defekte auf, wodurch es auch zu erklären sei, dass nur ca. 20 % der Embryotransfers in die Gebärmutter wirklich zu einer Schwangerschaft führen.

Der Referent stellte dann ausführlicher die Präimplantationsdiagnostik (PID) vor. Bei dieser wird dem künstlich erzeugten Embryo noch im Achtzellstadium eine einzige Zelle entnommen, die dann gezielt auf genetische Veränderungen untersucht wird. Die PID ermöglicht so die frühzeitige Erkennung von Defekten, die später mit Sicherheit zu schwersten Krankheitsbildern führen würden. Der wesentliche Vorteil bestehe jetzt darin, dass durch die PID die „Schwangerschaft auf Probe“ mit möglicher Abtreibung vermieden werden könne, indem man beim Embryotransfer letztlich nur die gesunden Embryonen in die Gebärmutter einbringt.

In Deutschland ist PID erst seit Kurzem in sehr engen Grenzen erlaubt. Entsprechend dem Embryonenschutzgesetz dürfen Embryonen nur dann künstlich erzeugt werden, wenn sie auch zur Implantation bestimmt sind. Durch dieses Gesetz werde, so Dr. Thomas Müller, der Embryo im Reagenzglas mehr geschützt als der Embryo in der Gebärmutter, der ja unter Umständen legal abgetrieben werden darf.

Gegner der PID befürchten jedoch aufgrund der so frühzeitigen Erforschung des noch nicht implantierten Embryos die Herstellung von „Designerbabys“ mit gewünschten Merkmalen wie blond, groß, schlank, sportlich, klug usw. Laut Dr. Müller sei dies jedoch sehr unrealistisch, da die Methodik der PID insgesamt sehr aufwendig ist.

Ein weiterer bioethischer Aspekt lautet: Jeder hat ein Recht auf Leben, aber gibt es auch ein Grundrecht auf ein gesundes Kind? „Eine Schwangerschaft kann nicht gegen den Willen der Schwangeren aufrechterhalten werden“, so Dr. Müller. Er verwies in diesem Zusammenhang auf die Tatsache, dass die Behinderten selbst ihre Lebensqualität viel besser einschätzen, als es nichtbehinderte Menschen vermuten.

In Deutschland werden jährlich ca. 130.000 Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt. Die Zahlen sind hoch, die Gründe unterschiedlich. Der Referent führte an, dass die Abbrüche, wenn nicht durch ausgebildete Ärzte, eben durch andere Ärzte, teils illegal oder im Ausland, durchgeführt würden. So komme in praktisch allen europäischen Ländern auf vier Geburten jeweils eine abgebrochene Schwangerschaft, egal ob dies legal ist wie in Holland oder illegal wie in Irland.

Bei der Diskussion nach dem Vortrag äußerte eine Schülerin, dass sie keinen Beruf ausüben möchte, bei dem sie solche Eingriffe durchführen müsste. Dr. Müller betonte, dass es jedem Arzt in Deutschland (und in seiner Klinik) freigestellt sei, ob er Schwangerschaftsabbrüche durchführt. Gefragt wurde auch nach einer neueren Methode, bei der die Untersuchung auf bestimmte Chromosomendefekte sehr schonend durch Untersuchung des mütterlichen Bluts erfolgt.

Abschließend war es den beiden „Müllerdocs“ wichtig, die positiven Seiten von Schwangerschaft und Geburt zu betonen. Zwar habe sich der Vortrag wegen der vorgegebenen Thematik auf Diagnostik und Komplikationen konzentriert. Aber weit mehr als 95 % aller Schwangerschaften verliefen völlig problemlos. Die Schülerinnen sollten deshalb keine unbegründeten Ängste vor dem „Kinderkriegen“ entwickeln.

Und wenn es dann aber doch anders kommen sollte? „Auch und gerade ein erkranktes oder behindertes Kind kann eine Bereicherung des Lebens sein“, betonte der Arzt abschließend.

Foto: Dr. Thomas Müller (Klinikum Hanau) referiert in der HOLA zum Thema Pränataldiagnostik.

Foto: Dr. Hubert Müller (links) von der HOLA dankt Dr. Thomas Müller (rechts, Klinikum Hanau) für seinen Vortrag zur Pränataldiagnostik mit einem Fotoband und Apfelspezialitäten.


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