Ein Monat nach den rassistischen Morden in Hanau

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Selma Yilmaz-Ilkhan, Vorsitzende des Ausländerbeirates in Hanau, äußert sich zu den rassistischen Morden am 19. Februar 2020.



"Ein Monat nach 19/2 Hanau Seit dem rassistisch motivierten Anschlag von Hanau sind es am 19.03.2020 nun genau vier Wochen vergangen. Vier Wochen mit vielen Tränen, Schmerzen und Leid nicht nur von den Angehörigen der Opfer des Terroranschlages, sondern auch von vielen weiteren Menschen, die zudem bis heute noch immer keine Antworten auf viele Fragen erhalten haben. Ein Großteil der Menschen in Hanau, aber auch in ganz Deutschland leben weiterhin in Angst und wissen nicht, ob Sie je wieder beruhigt werden. Sie wissen nicht, ob Sie je Antworten auf Ihre Fragen bekommen werden. Durch die Corona-Pandemie hat sich verständlicherweise innerhalb weniger Tagen die Tagesordnung rasant verändert. Mir ist es selbstverständlich bewusst, dass der Corona-Virus ernst zu nehmen ist, damit es sich nicht oder nur langsam verbreitet. Mir ist es aber durchaus auch bewusst, dass wir neben dem Corona-Virus weiterhin mit einem mindestens genauso gefährlichem Virus zu kämpfen haben. Dieser Virus heisst Hass - Antimuslimischer Hass, Antisemitischer Hass und Fremdenfeindlicher Hass. Die Opfer von Hanau waren dem Täter nicht bekannt, er suchte sich gezielt Plätze aus, wo sich vermehrt Menschen mit Migrationsbiographie versammelten.

Seine Tat war durch den Hass und rechtsradikalem Gedankengut motiviert. So entschlossen und mit verschärften Sanktionen wie wir gegen die unsichtbaren, aber gefährlichen Corona-Viren kämpfen, müssen wir auch gemeinsam den gesellschaftlichen Virus des Hasses bekämpfen. Schulter an Schulter, Solidarisch und entschlossen. Bei diesem Virus gibt es so wie bei Corona auch eine eindeutige Risikogruppe. Diese sind Menschen die in der zweiten, dritten und vierten Generation in Deutschland leben. Manchmal schwarze Haare haben manchmal eine dunkle Hautfarbe manchmal einen Kopftuch, eine Kippa oder einen Turban tragen. Manchmal sind es aber oft Menschen, deren Eltern aus einem anderen Land kommen und die durch diesen Virus gefährdeten das Land ihrer Eltern bzw. Großeltern lediglich aus ihrem Urlaub kennen. Diese „Risikopatienten“ sind zudem meist bereits Deutsche, werden aber weiterhin als Fremde wahrgenommen. Dieser Virus trifft insbesondere diese Menschen. Bei der Corona-Pandemie haben wir gemerkt wie schnell es sich verbreiten kann, wenn wir die Symptome zu spät erkennen und notwendige Maßnahmen zu spät eingeleitet werden. Deshalb sind wir auch als nicht infizierte Personen, weiterhin gezwungen zum eigenen Schutze, aber zum Schutze unserer Umgebung die eigene Freiheiten zu beschränken.

Genau so müssen wir in all unseren Handlungen vorgehen. Rücksicht nehmen. Rücksicht nehmen auf Menschen, die nur aufgrund ihrer Migrationsbiographie Opfer werden. Sie werden Opfer von Alltagsrassismus. Sie werden Opfer von Diskriminierung und Benachteiligung. Sie müssen für gleiche Chancen kämpfen, obwohl wir in einer Demokratie leben. Diese Menschen sind jeden Tag aufs Neue dem Hass entgegensetzt. Auch nach dem Anschlag von Hanau hat dieser Hass nicht aufgehört. Es geht leider weiter, sowohl auf der Strasse als auch im Netz. Es bedarf eine entschlossene und kraftvolle Antwort auf diese Ereignisse. Nach dem rassistischen Anschlag von Hanau sind mehr als 80 Ermittlungsverfahren wegen befürwortender Kommentare im Internet eingeleitet worden. Es sind Kommentare zu lesen, die einem das Atem wegnehmen. Unabhängig vom strafrechtlichen Aspekt, sind Hetze und Hasskommentare auch und insbesondere ein gesellschaftliches Thema.

Deshalb müssen wir uns alle in der Pflicht sehen, gegen diesen Hass der unsere Gesellschaft spaltet, stark zu sein und entgegen zu wirken. Wir werden es nicht zulassen, dass die neun Todesopfer im Alter zwischen 20 und 37 Jahren, ohne jegliche Konsequenzen gestorben sind. Alle von den Opfern hatten noch viele Ziele vor sich. Wir sind es dem jungen Ferhat Unvar schuldig, dessen Opa schon vor Jahrzehnten als Straßenbauer die Straßen in Hanau baute, dass diese Tat aufgeklärt wird. Wir sind es Hamza Kenan Kurtovic schuldig, der sein erstes Gehalt „Menschen in Not“ spendete. Wir sind es Said Nesar Hashemi schuldig, der immer ein Lächeln mit sich trug und seine größte Leidenschaft, sein Auto, nicht mehr fahren wird. Wir sind es Vili Viorel Paun schuldig, der im Alter von 16 Jahren nach Deutschland kam und als einziges Kind der Familie immer für seine Familie da gewesen ist. Wir sind es Mercedes Kierpacz und ihren hinterbliebenen beiden Kindern schuldig. Wir sind es Gökhan Gültekin schuldig, der sich verloben wollte, aber wegen der Krankheit seines Vaters die Verlobung immer wieder verschob. Seine Eltern waren ihm wichtiger als sein eigenes Glück. Sein Vater sagte zu mir: ,,Er wollte noch heiraten und eine Familie mit Kindern gründen! Er wollte uns nie alleine lassen. Warum hat er uns jetzt alleine gelassen, warum hat ein wildfremder Mensch meinen Sohn von mir genommen? Was haben wir ihm angetan? Ich wusste kein Antwort… Wir sind es Fatih Saracoglu schuldig, der aus Regensburg neu nach Hanau gezogen war, um hier ein neues Leben zu beginnen. Dieses Leben wurde ihm in einem Nacht genommen. Wir sind es dem Kaloyan Velkov schuldig, der Tag und Nacht arbeitete, um Geld nach Bulgarien zu seiner Ehefrau und seinem Kind zu senden. Schließlich sind wir es auch Sedat Gürbüz schuldig, der einen jungen Bruder hinterließ, der keinen Abi mehr hat. Einen Vater und Mutter hinterlässt, die bei der Beerdigung es nicht länger aushielten und ihr Bewusstsein verloren.

Dieser Terroranschlag ist der dritte rechtsextreme Mordanschlag in Deutschland in einem Jahr. Das Rechtsterrorismus wieder und verstärkt eine Gefahr für unser Land geworden ist, dürfte mittlerweile kein Geheimnis mehr sein. Dieser Terroranschlag muss gründlich aufgeklärt werden, damit solche Taten in Zukunft besser verhindert werden können. Viel zu lange haben wir in Deutschland uns davor gescheut den rechten Terror als Terror zu bezeichnen. Es ist an der Zeit, es mit klaren Worten zu benennen. Wir sind alle verpflichtet dem Rechtsextremismus mit aller Entschlossenheit entgegenzustehen. Am 04.03.2020 fand in Hanau ein sehr emotionaler Trauerakt statt und folgende Worte des Ministerpräsidenten Volker Bouffier machten mir Mut; ,,Für uns ist es eine Verpflichtung, alles zu tun, damit niemand Angst haben muss“, Auch der Bundespräsident Steinmeier nannte die Probleme beim Namen. Die Tat habe eine "Vorgeschichte der Ausgrenzung und Diskriminierung von Menschen mit Migrationsgeschichte, von Muslimen, von angeblich Fremden". "Ja, es gibt Rassismus in unserem Land“. "Ja, es gibt weit verbreitete Muslimfeindlichkeit. Menschen mit dunklerer Hautfarbe oder mit Kopftuch erleben Diskriminierung, werden Opfer von Angriffen, von Beleidigungen und von Gewalt. "Unsere Botschaft von Hanau in die Republik muss sein: Wir stehen zusammen, wir halten zusammen, wir wollen zusammen leben.“

Ich wünsche, dass diese vielversprechenden Reden, die mich zuversichtlich in die Zukunft blicken lassen, nicht nur bei Worten bleiben, sondern auch in Taten umgesetzt werden. Ich wünsche mir, dass sich Ereignisse aus dem 19. Februar nie wieder wiederholen!!"

Selma Yilmaz-Ilkhan
Vorsitzende des Ausländerbeirates der Stadt Hanau

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