Parlamentarisches Trauerspiel

"Es ist zurzeit nicht gut um den Parlamentarismus im Main-Kinzig-Kreis bestellt. Das Gezeter um die Kreistagssitzung wird immer mehr zum Trauerspiel, da keine Lösung gefunden wird, die dem Anspruch an ein Parlament als das höchste demokratisch legitimierte Gremium gerecht wird. Dabei kann man sich an der Hansastadt Hamburg ein Beispiel nehmen. Es ist schon seit langem bekannt, dass die Hamburger ihr Parlament – die Hamburger Bürgerschaft - sehr schätzen und ihr Demokratie- und Freiheitsverständnis außergewöhnlich hoch ist. Deshalb kann es nicht verwundern, dass die Vereidigung des Hamburger Bürgermeisters vergangene Woche im alten Sitzungssaal in voller Besetzung stattfand. Man hat halt Sicherheitsvorkehrungen zum Infektionsschutz eingeführt, aber nicht das Parlament aufgelöst, ersetzt oder verkleinert. Man kann sich dies alles auf youtube ansehen oder die Bürgerschaftsprotokolle lesen. Meine Hamburger Kollegin Katja Suding hat mir mitgeteilt, dass die Hamburger tief im bürgerlichen Parlamentarismus verwurzelt sind und deshalb das Parlament so wichtig ist.

Im Main-Kinzig-Kreis ist das nicht möglich. Für eine Vielzahl von Kreistagsabgeordneten ist das Risiko für eine Sitzung wohl zu groß, so dass SPD, Grüne und Linke wohl eine Art Pairing einführen wollen. Die Parteien, Wählergruppierungen und fraktionslose Mitglieder sollen die Anzahl ihrer Vertreter freiwillig verkleinern. Da diese Freiwilligkeit niemals gegeben war und man beispielsweise fraktionslose Mitglieder auch nicht teilen kann, ist diese Übertragung nicht möglich. Das Pairing ist aber ohnedies eine Notlösung, die beispielweise im Bundestag angewendet wird, wenn bei knappen Mehrheitsverhältnissen eine Person erkrankt ist. Es gibt aber auch zahlreiche Beispiele, bei denen es gescheitert ist. Sie ist aber auch nicht notwendig, da im Main-Kinzig-Kreis Räumlichkeiten vorhanden sein sollten, in denen eine Kreistagssitzung mit 100 Personen abgehalten werden kann. Aber der Wille dazu ist kleiner als die Furcht vor der Infektionsmöglichkeit. Die jetzige Lösung, das Parlament durch einen Ausschuss zu ersetzen, ist auch falsch, da darin überhaupt nicht die Mehrheitsverhältnisse wiedergegeben werden. Der Verkleinerung durch Pairing liegt aber auch ein falsches Verständnis zugrunde. Wenn man nach dem Prinzip 'Die Partei hat immer recht' handelt, kann man natürlich eine Verkleinerung anstreben, da dann eben jede Fraktion einen konstanten Stimmenanteil hat. Wenn man aber der Person, die gewählt worden ist, eine höhere Bedeutung zukommen lässt, muss man eben das ganze Parlament tagen lassen.

Insgesamt ist es das falsche Signal, da es von Furcht geprägt ist. Als ich 1989 an einer Montagsdemonstration in Leipzig teilgenommen habe, konnte ich sehen, welches Risiko Menschen eingehen, damit sie ihre Freiheit und ihre demokratische Rechte erhalten. Was müssen die Bürgerinnen und Bürger des Main-Kinzig-Kreises denken, wenn die hier verantwortlichen Politiker jetzt nicht einmal eine Kreistagssitzung abhalten können?"

Prof. Dr. Ralf-Rainer Piesold
Hanau

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