Machen Sie die Non-Food-Abteilungen der Warenhäuser zu

Leserbriefe
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Buchhändlerin Andrea Euler aus Wächtersbach fordert in einem Offenen Brief an Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) und den Hessischen Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir, dass während des Lockdowns Bücher und andere Non-Food-Artikel auch in Warenhäusern oder Lebensmittelmärkten nicht verkauft werden dürfen.



Sehr geehrter Herr Altmaier, sehr geehrter Herr Al Wazir, als selbständige Buchhändlerin und zur Gruppe der sogenannten „kleinen Selbständigen“ in Deutschland gehörend, wende ich mich an Sie mit der Bitte um mehr Chancengleichheit und Gerechtigkeit für all die, die zu den „Kleinstselbständigen“ gerechnet werden. Wie Sie wissen, erwirtschaften wir mehr als zehn Prozent des Gesamtumsatzes der deutschen Wirtschaft und stellen mehr als 20 Prozent der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze. Überdies sind wir im lokalen Bereich von hohem Wert in ideeller Hinsicht: Wer kümmert sich um die Praktika der Schüler*innen vor Ort? Wer investiert in Werbung in der Schülerzeitung? Wer stiftet die Spenden für die Tombola der Vereine, der Schulen, der Kindergärten? Speziell in unserer Buchhandels-Branche: Wer kümmert sich um das kulturelle Angebot vor Ort, gerade im ländlichen Bereich?

Wie ist es also möglich, dass es unseren (Kleinst)Unternehmen seit Wochen untersagt ist, unsere Türen für Publikum zu öffnen, zugleich aber Abteilungen mit identischer Ware in großen Warenhäusern geöffnet bleiben dürfen? Das Virus interessiert sich nicht dafür, an welcher Stelle es auf ein potentielles Opfer trifft. Es geht mir nicht darum, notwendige Maßnahmen zu kritisieren. Was ich kritisiere – und ich weiß aus zahlreichen Gesprächen, dass das viele Kund*innen und Unternehmer*innen ganz genauso sehen -, ist die unfaire und ungleiche Behandlung von Kleinst- und Großunternehmen. Wenn die Kontaktvermeidung eine so große Rolle spielt, wie wir das in den vergangenen Monaten erfahren durften – dann kann es nicht sein, dass Gleiches ungleich behandelt wird.

Ich bin mir nicht im Klaren darüber, ob Ihnen bewusst ist, was genau diese Ungleichbehandlung schlussendlich für viele Kleinstunternehmer bedeutet. Ich maße mir auch nicht an, für andere Branchen zu sprechen. Aber ich kann Sie darüber ins Bild setzen, was diese unfaire Situation für den Buchhandel bedeutet: Die Kundschaft nutzt natürlich die Möglichkeit zu stöbern, wenn sie sich ihr bietet. Das bedeutet, selbst wenn man (wie wir) digital gut aufgestellt ist, entgehen dem Händler/der Händlerin die Umsätze, die durch das Mitnahmegeschäft entstehen. Und das sind gerade in der Vorweihnachtswoche eine ganze Menge. Dadurch geht den Händler*innen in den Innenstädten dieser Umsatz verloren, gleichzeitig profitieren die großen Ketten.

Hinzu kommt: Viele Kundinnen und Kunden folgen – wenn sie nicht gerade den Einkauf von Lebensnotwendigem erledigen und auf dem Weg das ein oder andere mitnehmen - dem Aufruf, in der derzeitigen Situation zu Hause zu bleiben. „Click and collect“ ist damit für viele keine Option. Wer profitiert? Internethändler, die ohnehin schon dadurch Vorteile für sich verbuchen können, dass immer noch nicht die bekannten Steuerschlupflöcher geschlossen wurden. Sie zahlen zwar kaum Steuern in Deutschland, aber kassieren.

In der Folge und aufgrund geringeren Bestellaufkommens wird es für die Zulieferer – im Buchhandel die sogenannten „Barsortimente“ – schwieriger, die gewohnte Dienstleistung aufrecht zu erhalten, über Nacht die Buchhandlungen vor Ort mit bestellter Ware zu versorgen. Was sich wiederum als Wettbewerbsnachteil erweist, denn für den Kunden bzw. die Kundin stellt sich eine Belieferung im nur noch zweitägigem Rhythmus natürlich als schlechter dar, als die Belieferung über Nacht. Ein Teufelskreis, der sich selbst befeuert – und an dem auch die Entscheidung, den einen die Öffnung ihrer Buchabteilungen zu erlauben, die Buchhandlungen innerorts jedoch zu schließen, beträchtlich mit Schuld trägt. Zu Ende gedacht, folgen solchen Entscheidungen früher oder später eine höhere Beschäftigungslosigkeit, weniger Ausbildungsplätze, eine Belastung der öffentlichen Kassen durch zunehmende Altersarmut von Unternehmer*innen.

Was heißt das unterm Strich? Ich möchte nicht auf Zuschüsse angewiesen sein, ich möchte keine zusätzlichen Darlehen aufnehmen. Ich möchte keine Anträge stellen und später erfahren, dass man Details bei der Antragstellung vergessen hat, vorzugeben. Viele von uns sind Unternehmer*innen geworden, weil sie ihr Glück selbst in die Hand nehmen wollen. Sie, Herr Altmaier, machen das allerdings mit den derzeitigen Regelungen unmöglich, sodass ich der Meinung bin, es ist an der Zeit, sich mit den Kleinstanbietern solidarisch zu zeigen: Sorgen Sie für eine Gleichbehandlung beim Verkauf der Waren, die auch in den kleinen Läden nicht verkauft werden dürfen. Mit anderen Worten: Machen Sie die Non-Food-Abteilungen der Warenhäuser zu!

Zeigen Sie Solidarität: Bestätigen Sie Ihre Verbundenheit zum lokalen Gewerbe, indem Sie jedem Bürger und jeder Bürgerin in Deutschland einen 50-Euro-Gutschein zukommen lassen, der ausschließlich vor Ort und bei inhabergeführten Betrieben – also im inhabergeführten Einzelhandel und der Gastronomie - ausgegeben werden kann. Was natürlich nur dann etwas bringt, wenn das Geld dann auch zügig beim Einlösevorgang zu den Betrieben fließt und nicht ewig auf sich warten lässt. Sorgen Sie endlich unbürokratisch und vor allem schnell dafür, dass Soloselbständige finanzielle Unterstützung bekommen, insbesondere im kulturellen Bereich. Schonen Sie dabei den Besitzstand der Selbständigen.

Sie tragen damit nicht nur zur Existenzsicherung einer großen Gruppe an Unternehmer*innen bei, sondern sorgen damit auch in Ihrem eigenen Interesse – und ganz dem Agenda-Gedanken verpflichtet – dafür, dass es auch in Zukunft einen regionalen, vielfältigen Einkauf geben wird."

Andrea Euler
Wächtersbach

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