Umgang und Respekt gegenüber der älteren Bevölkerung

Leserbriefe
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Mit einem Offenen Brief an die Verantwortlichen der Stadt Hanau reagiert VORSPRUNG-Leser auf eine Situation auf dem Hanauer Wochenmarkt am Samstag.



"Sehr geehrte Herren Kaminsky, Weiss-Thiel und Morlock, sehr geehrte Damen und Herren der HSB, ich bin grade sehr aufgebracht und wütend. Beim heutigen Einkauf auf dem Wochenmarkt bin ich Zeuge einer für mich verstörenden Situation geworden.

Eine ältere Dame saß an der Bushaltestelle am Marktplatz alleine auf einer Bank. Neben ihr der Rollator den sie zur Fortbewegung benötigt. Sie saß dort auf der Bank und biss in ein Brötchen. Es dauerte keine Minute, da kam ein Mitarbeiter der HSB auf sie zu und forderte sie auf ihr Brötchen abseits der Bushaltestelle zu essen, da ansonsten die Polizei ihr ein Bußgeld in Höhe von 50€ ausstellen würde. Die Dame hatte sichtlich Probleme den Mitarbeiter der 2 Masken, die obere im grünen "Grinch"-Design, trug zu verstehen. Nach einer kurzen Weile erhob sich die Dame, ich schätze sie auf bestimmt Mitte 80, wenn nicht sogar älter und machte sich mit Ihrem Rollator auf den Weg, um diesen 5 Meter weiter hinten abzustellen, sich darauf zu setzen und ihr Brötchen weiter zu essen.

Bei aller Liebe und bei allem Verständnis für die Situation und natürlich auch für die geltenden Regeln, finden Sie diesen Umgang korrekt?

Ja, natürlich werden Sie jetzt argumentieren, dass das nun mal aktuell den Vorschriften entspricht. Aber treten wir doch mal den einen Schritt zurück und betrachten die Situation nüchtern. Es handelte sich hierbei nicht um einen mobilen Menschen, der die Regeln vielleicht mal vergessen hat, oder sie vielleicht auch bewusst ignorierte und so eine Situation provozierte. Wir sprechen von einer alten Dame, die sichtlich ihre Probleme hatte sich aufzurichten, sich schnell zu bewegen. Sie saß alleine auf der Bank, hat niemanden damit gefährdet und wird von einer großen Person aufgefordert den Platz zu verlassen. Wie gesagt stellte sie ihren Rollator dann 5m weiter hinten ab, saß unbequem auf der Ablage ihres Rollators und im Anschluß hatte sie dann auch noch einen weiteren Weg zum Bus. Da sie nicht mehr so schnell laufen konnte, kommt in so einer Situation bei älteren Menschen oftmals zusätzlicher Stress dazu, um den Bus rechtzeitig zu erreichen.

Nun kann man an dieser Stelle natürlich auch sagen, sie hätte das Brötchen ja wegpacken können. Das ist alles richtig. Vielleicht hatte sie aber auch einfach größeren Hunger und bevor sie dann kreislaufbedingt umkippt, ist es doch besser, wenn sie sich kurz stärkt. Aber wenn wir bei all den Maßnahmen die aktuell greifen, die uns alle erheblich einschränken und beeinträchtigen, die nicht nur aber vor allem auch zum Schutz dieser älteren Bevölkerungsschicht solidarisch seit nun mehr über einem Jahr mitgetragen werden, vergessen ab wann man auch mal von einer Verhältnismäßigkeit sprechen muss, ab wann man allein aus Empathie dann auch mal eine Ausnahme für so eine Dame machen kann oder vielleicht sogar muss, in was für einer Gesellschaft leben wir dann.

Und wenn jetzt jemand argumentiert, warum geht diese Frau dann in die Stadt einkaufen und muss auf der Bank an einer Bushaltestelle ein Brötchen essen, dann antworte ich: Vielleicht hat diese Frau keine Angehörigen mehr, die Ihre Einkäufe übernehmen können, vielleicht geht diese Frau schon ihr Leben lang auf den Markt, um ihr Einkäufe zu tätigen und um damit die lokalen Anbieter zu unterstützen, vielleicht möchte auch sie, bei all den Einschränkungen, einfach nur ein Stück ihrer persönlichen Normalität in der Zeit ihres Lebensabends erhalten. Am Ende ist es einfach auch nur ihr gutes Recht.

Diese Situation ist sehr befremdlich. Ein Mann hat den Mund in besagter Situation aufgemacht und dem HSB Mitarbeiter die Meinung gesagt. Die Wortwahl kann man kritisieren, den Ansatz allerdings nicht. Er wies darauf hin, dass man die Dame doch jetzt nicht "verscheuchen" kann, sie saß alleine und aß nur ein Brötchen. Und in meinen Augen hat er Recht und ich bin froh, dass er etwas gesagt hat, denn ich habe es mir zwar gedacht, aber nichts gesagt.

Sehr geehrte Herren Kaminsky, Weiss-Thiel und Morlock, sowie sehr geehrte Damen und Herren der HSB: Ich möchte Sie alle bitten, dass bei all den Regeln und Maßnahmen auch mal drauf geachtet wird, dass wir den Respekt und die Empathie gegenüber unseren Mitmenschen nicht verlieren. Denn diese Situation hat gezeigt, dass aktuell Regeln und Vorgaben einfach nur strikt umgesetzt werden, ohne Rücksicht auf Verluste. Wir dürfen in dieser für uns alle schweren Zeit eins nicht vergessen, dass bei all den Regeln und Maßnahmen Situationen auch mal verhältnismäßig betrachtet werden müssen. Ich wünsche Ihnen alles Gute, bleiben Sie gesund."

Timo Patton
Hanau

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