115 Jahre Musikverein Germania Somborn

Somborn
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Der Musikverein Germania Somborn feiert in diesem Jahr 115jähriges Bestehen. Ein Anlass, um auf ausgewählte Momente der Vereinsgeschichte zurückzublicken. Gegründet wurde der Verein am 18.10.1908 im heutigen Gasthaus zum Freigericht. 17 Mitglieder versammelten sich damals, Dirigentenstab und Vereinsvorsitz übernahm Wilhelm Spielmann - damals eine nicht unübliche Vorgehensweise. Beim damaligen Gastwirt Simon wurde übrigens in genau den selben Räumlichkeiten bereits 1891 der Männerchor Somborn gegründet. 

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Anfangszeit und harte Krisen

Aus den Anfangsjahren des Vereins ist nicht viel dokumentiert. Der Gründungsphase des Vereins setzte der 1. Weltkrieg eine jähe Zäsur. Nach dem Krieg wechselten Taktstock und Vereinsvorsitz zu Ludwig Lorz, der den Verein durch seine schwersten Zeiten führen wird. 1926 findet das 1. überlieferte Konzert statt. Da sich der Verein auch damals schon der Geselligkeit verpflichtet fühlte, veranstaltete man 1928 das 1. Fest der Vereinsgeschichte zum 20jährigen Vereinsjubiläum. Dies ist gleichzeitig auch die letzte Veranstaltung, die der Verein vor dem 2. Weltkrieg ausrichtete. Während des Krieges kam der Probebetrieb weitgehend zum erliegen.

In der Nachkriegszeit war es vor allem dem Engagement von Dirigent Ludwig Lorz zu verdanken, dass bereits Ende 1945 in deutlich ausgedünnter Besetzung und mit Aushilfen aus den umliegenden Vereinen, Gottesdienste und andere geistliche Veranstaltungen wieder musikalisch umrahmt werden konnten. 1952 verstirbt der langjährige Dirigent. 24 Jahre hat er an der Spitze des Vereins gestanden und es ist sicherlich maßgeblich auch sein Verdienst, dass das Orchester so bald nach dem Krieg wieder neuen Aufschwung bekommen hat.

Kultureller Neustart

1955 wandelte sich der Musikverein mit einer Neukonstitution von seinem eher behelfsmäßigen Nachkriegsdasein zu einer strukturierten modernen Organisation. Dirigent und 1. Vorsitzender sind nun erstmals 2 verschieden Personen und der Vereine veranstaltet jetzt regelmäßig Feste und Konzerte - damals noch im Gasthaus zum Freigericht. Interessant: Der Jahresbeitrag betrug damals noch -,50DM. 

1968 - zum 60jährigen Jubiläum - fand das Jahreskonzert erstmals im Gasthaus zum Engel statt. Bis in die 80er Jahre wurden hier die Konzerte des Vereins ausgerichtet.

Der Verein wuchs stetig seit dem Krieg und so wurde 1970 das Jugendorchester gegründet, welches bis heute besteht und damals wie heute die Zukunft des Vereins bildet. Auch damals schon wurde wertvolle Nachwuchsarbeit geleistet und das Jugendorchester veranstaltete schon bald eigene Konzerte und Benefizveranstaltungen. Mit Übungswochenenden und Ausflügen wurde bereits zu dieser Zeit durch aktive Jugendarbeit für einen beständigen Orchesternachwuchs gesorgt.

Goldene Zeiten

Eines der größten Glanzmomente des Vereins ereignete sich am 11. Juni 1977. Die Musiker Michael Schneider, Gerhard Biba und Peter Trageser nahmen an der beliebten Live-Sendung „Auf los geht’s los“ teil - eine Spielshow, in der Kandidaten zweier gleichartiger Vereine gegeneinander antraten. Legendär: Gerhard Biba verzweifelte an einer Frage der Spielshow und gab mit dem Ausruf „Himmel, Arsch und Zwirn, wir kommen nicht drauf!“ versehentlich die richtige Antwort und gewann somit die Sendung.

Etwa zu dieser Zeit bezog der Verein auch sein aktuelles Vereinsheim im Keller der alten Lateinschule. Stolz und voller Freude machte man sich damals sogleich tatkräftig an die Renovierungsarbeiten der ehemaligen Chemieräume des alten Gymnasiums. Leider wurde bei der ersten Grundreinigung der Räumlichkeiten ein zu aggressives Reinigungsmittel gewählt, was offensichtlich mit den vorhandenen Resten von Chemikalien aller Art eine Reaktion ausgelöst haben muss, die dazu geführt hat, dass es bis heute sehr eigensinnig und leicht unangenehmen riecht. Alle, die die Räumlichkeiten schon einmal besucht haben, werden sich an den sogenannten „Vereinsheimgeruch“ erinnern. 

Um den Geruch zu kompensieren wurde damals in der Probe übrigens noch kräftig geraucht - heute undenkbar. Spätestens nach der ersten Probenhälfte lagen tiefe Nebelschwaden über dem Orchester und der Tabakgeruch setzte sich für alle Ewigkeit in den alten Vorhängen fest.

In den 70er und 80er Jahren erlebte der Verein neue Hochzeiten, vor allem gesellschaftlicher Natur. So entwickelten sich Traditionen, teils haben sie bis heute Bestand haben, teils sind sie fast vergessen. Beispielsweise kehrte der Verein nach jeder Prozession ins berühmt berüchtigte „Geiste Marrie“ ein. Üblicherweise saß vorne die Feuerwehr und hinten im Separee versammelten sich die Musikerinnen und Musiker des Musikvereins. Auch das gemeinsame Hähnchen-Essen nach jeder (wirklich jeder) Probe im ehemaligen Gasthaus Alt-Wien, allgemein bekannt als Freddie, war ein wichtiger Bestandteil der Vereinsgemeinschaft. Auch wenn das Gasthaus seine Türen schon längst verschlossen hat, findet sich heute immer noch ein harter Kern, der regelmäßig nach der Probe zusammen einkehrt und bei kühlem Bier (aber leider ohne halbe Hähnchen) eine Nachbesprechung der Probe abhält.

Legendäre Faschingsbälle, erinnerungswürdige Vereinsausflüge und große Feste prägen diese Zeit. Eine sehr schöne Zeit, aber aus Vorstandsperspektive auch eine sehr anstrengende. Ohne Mitgliederinnen und Mitglieder, die tatkräftig unterstützen, organisieren und mit anpacken wäre kein Konzert, kein Fest möglich. Sie bilden das Rückgrat eines jeden Vereins. Natürlich hat es im Laufe der Jahre sehr viele dieser besonderen Mitgliederinnen und Mitglieder gegeben, die sich besonders verdient gemacht haben. Stellvertretend für alle sei an dieser Stelle das Ehepaar Roswitha und Herbert Trageser genannt. Das Ehrenmitglied Herbert Trageser hatte von 1977 bis 1989 den Vereinsvorsitz inne und war maßgeblich daran beteiligt, dass in diesen Jahren bis zur heutigen Zeit so viel geleistet werden konnte. Beide haben weit über diese Zeit hinaus den Verein tatkräftig unterstützt und geprägt. 

Ankunft in der modernen Blasmusik

Ende der 70er und vor allem in den 80er Jahren entwickelt sich die Blasmusik-Szene enorm weiter und legt den Grundstein für die moderne Blasmusikliteratur. Bis dato wurden meistens Volkstümliches oder militärische Märsche gespielt. Hauptwerke waren früher Arrangements von klassischen Werken wie Sinfonien und Opern , die meist für Sinfonieorchester geschrieben wurden. In dieser Zeit beginnen vor allem in Holland Komponisten speziell für Blasorchester Werke zu entwerfen - die sogenannte sinfonische Blasmusik wird salonfähig und erreicht allmählich auch das Freigericht. Dieses neue Genre stellt Orchester musikalisch vor neue Herausforderungen; sei es unbekannte Taktarten, dissonante Klänge oder ein breites Bataillon an Schlagwerk-Instrumenten, die über das damals übliche Standard Set Up (Kleine Trommel, große Trommel, Becken) deutlich hinaus gingen. Von den Dorforchestern wird nun deutlich mehr erwartet, es führt aber auch zu einer beträchtlichen musikalischen Weiterentwicklung. Gemeinsam mit dem damals jungen und aufstrebenden Dirigenten Dr. Klaus Adam stellt sich der Verein dieser Herausforderung. In seiner 16jährigen Dirigententätigkeit führte Adam das Orchester zu einem modernen Orchester welches auf musikalischer Oberstufe spielt. Stellvertretend für die Erfolge und die Entwicklung dieser Zeit sei das Wertungsspiel im Rahmen des Deutschen Musikfests in Würzburg 2007 genannt, wo in der Kategorie Oberstufe das Prädikat „mit sehr gutem Erfolg“ erspielt werden konnte. 

2008 feierte der Verein sein 100jähriges Bestehen. Neben Jubiläumskonzert und großem Fest auf dem ADAC Platz wurde das Jahr mit einer ungewöhnlichen Aktion eingeläutet - wortwörtlich. Im Januar spielte das Orchester auf dem oberen Kirchplatz der St. Anna Kirche ein Stück für Blasorchester und Kirchenglocken. Zusammen mit den Kirchenglocken der beiden Somborner Kirchtürme wurden mehrere Stücke gespielt, mal mit, mal ohne Orchester. Die Glocken wurden damals von schwindelfreien Musikerinnen und Musikern gespielt. Mittels Funkgeräten versuchte man sich damals zwischen den Türmen und mit dem Orchester zu verständigen, mehr oder weniger erfolgreich. Denn sobald eine der riesigen Glocken angeschlagen wurde, konnte man weder das Orchester, noch die Glocken im anderen Turm hören. Ein Detail, welches in den Proben am vereinseigenen Tischglockenspiel bis dahin nicht aufgefallen war und welches in der einzigen Generalprobe in den Glockentürmen schnell gelöst werden musste. 

Über 115 Jahre hat der Verein viel erlebt und sich dabei stets weiter entwickelt, kleine und große Krisen gemeistert und sich dabei selbst nicht zu ernst genommen. Vieles hat sich verändert. Neue Uniformen, neue Dirigenten und Vorstände und eine breitere musikalische Ausrichtung von musikalischer Früherziehung bis zu den Freigerichten Alphornisten, die auch dem Verein zugehörig sind. Der Zigarettenrauch im Vereinsheim ist längst verflogen, doch die Geschichte geht weiter. Heute schaut der Verein voller Zuversicht in die Zukunft und stellt sich den Herausforderungen unserer Zeit.

Unter dem Konzertmotto Stein(-alt) - 115 Jahre MVG blickt der Verein am 25.11.2023 um 19:30 Uhr auf seine vergangenen Jahre zurück: "Seien auch Sie mit dabei und schreiben Sie gemeinsam mit den Musikerinnen und Musikern auf der Bühne die Vereinsgeschichte weiter." Karten sind bei allen aktiven Musikerinnen und Musikern sowie an der Abendkasse erhältlich.

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Gründungsfoto aus dem Jahre 1908.

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Jubiläumskonzert unter der Leitung von Bernhard Reus im Saal vom Gasthaus zum Engel 1968.

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Ausschnitt aus der Sendung „Auf los geht’s los“. Der Musikverein Marbach unterlag damals den Sombornern. In der Mitte: Moderator Joachim „Blackie“ Fuchsberger.

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Das Stammorchester des Vereins am Jahreskonzert 2022 unter der Leitung von Christian Ott.


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