„Wir teilen alle dieselben Straßen“

Hanau
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Unter dem Motto „Es gibt noch viel zu tun“ startete am 19. April die erste Online-Veranstaltung in der Reihe "Hanauer Gespräche".



Gegen 19 Uhr schlossen sich etwa 30 Interessierte im digitalen Gesprächsraum zusammen, um sich über ein umfassendes, gesellschaftlich relevantes und zugleich hoch emotionales Thema auszutauschen. Am Ende zeichneten sich einige Ideen ab, die optimistisch stimmen. „Ausgangspunkt der Hanauer Gespräche ist der 19. Februar.“, so Pfarrerin Dr. Elisabeth Krause-Vilmar, die als neue Leiterin des Evangelischen Forums das Meeting in Kooperation mit der Bildungsstätte Anne Frank ins Leben gerufen hat. Als Moderatorin hatte sie Paola Fabbri-Lipsch aus Frankfurt sowie als Referenten Imam Mustafa Macit Bozkurt, Islamischer Verein Hanau e. V., und Andreas Jäger, Leiter der Fachstelle Vielfalt in Hanau, gewinnen können.

Die Ideen, die in fünf per Zufallsgenerator zusammengestellten Kleingruppen angeklungen waren, gaben am Ende Mut und Zuversicht für die Zukunft. ‚Anlaufstelle für alle‘, die sich mit einem Beitrag zur Zukunft der Zivilgesellschaft engagieren wollen, sind im Zentrum für Vielfalt, einer Einrichtung der Stadt Hanau, sehr willkommen. Leiter Andreas Jäger will ein offenes, gastfreundliches Haus. „Anlässe und Räume schaffen“, damit Menschen sich aufmachen, einander kennenzulernen, so formulierte es Imam Mustafa Bozkurt und der Kirchenkreis Hanau wird unter anderem die Initiative "Offen für Vielfalt" stärken. Deutlich wurden an diesem ersten Diskussionsabend insbesondere drei Punkte. Der 19. Februar hinterlässt große Trauer, tiefe Wunden und eine bleibende Versunischerung. Es gibt in und um Hanau eine Anzahl zivilgesellschaftlicher Akteure, die sich gegen Rassismus und für ein gutes Miteinander einsetzen wollen und werden. Die Stadtgesellschaft steckt mitten in einem Prozess intensiver Diskussion, in dem das neue Zentrum für Vielfalt eine zentrale Rolle spielen wird.

Das im Aufbau befindliche Zentrum für Vielfalt kann in Hanau auf vielem aufbauen, was bereits vorhanden ist. Das Kulturforum, so die Leiterin Beate Schwartz-Simon, stelle sich die Frage, welchen Anteil es leisten könne. Man könne beispielsweise das Thema ‚Demokratie‘ zum Schwerpunkt machen. Auch die VHS Hanau ist mit im Boot und der „Runde Tisch der Religionen“ ist bereits seit Langem etabliert und greift Themen aus religiöser Sicht auf. Im kulturellen Bereich hat sich vor Kurzem der Verein „Theater der Vielfalt e. V.“ gegründet, der sich ebenfalls als Multiplikator versteht. Sportvereine können Gesprächspartner sein, ebenso wie Jugendzentren und viele mehr. Die wegweisenden positiven Ideen sind insofern bedeutungsvoll, da ein kurzer Rückblick von Bozkurt und Jäger auf die vergangenen 14 Monate zeigte: In Hanau, in einer offenen Stadt mit einer langen Migrationsgeschichte, sind viele Menschen verunsichert und haben Vertrauen verloren.

Die Tage nach dem 19. Februar gehören zu der schwersten in seinem Leben, so Imam Bozkurt, der einige der Opfer bestattet und Familien bis heute in ihrer Trauer begleitet. Betroffen sind die Familien und Freunde, aber auch die ganze Stadtgesellschaft. Die rassistische Hetze gehe weiter: „Hätte man doch mehr von euch mitgenommen“, war ein Gemeindemitglied beschimpft worden, so Bozkurt. Er stelle sich die Frage, wie es gemeinsam weitergehen solle. Über 18 Jahre lang feierten die Muslime das Fastenbrechen auf dem Marktplatz. „Ein Zeichen, dass wir willkommen sind.“ Seine Gefühle seien sehr unterschiedlich, so Bozkurt, viel Vertrauen sei verloren, dennoch fühle er sich in Hanau wohl und behütet. Andreas Jäger, der die Familien der Opfer vonseiten der Stadt Hanau unterstützt, machte deutlich, wie tief getroffen er persönlich war. „Dieser Tag hat mein Leben verändert. Niemals hätte ich mir vorstellen können, dass dies in Hanau, in meiner Stadt, passieren könnte.“ Als Ansprechpartner für die Familien habe er seine bislang schwierigste und eine überaus herausfordernde Aufgabe übernommen.

Für Jäger und Bozkurt steht es außer Frage, dass „die Menschen sich mit Namen kennenlernen müssten“, dass man eine „offene Streitkultur brauche“ und Vorurteile abbauen müsse. Diese Themen wurden auch in den Kleingruppen sehr intensiv diskutiert. Das Gefühl, auch das Bedürfnis, sich auszutauschen, ist groß. Angesprochen wurde Aspekte zu Sensibilisierung für Alltagsrassismus, zu Selbstreflexion und Haltung, zum Kennenlernen sakraler Orte, gegen Ausgrenzung in Schulen und vieles mehr: Es gibt viel zu tun.

Der nächste online Gesprächsraum öffnet am 19. Mai um 19.00 Uhr in der Reihe Hanauer Gespräche unter dem Titel „Niemals vergessen“.


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