Islamische Gemeinschaft: Hanau-Bericht ist ein weiterer Tiefpunkt

Hanau
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„Der Hanau-Untersuchungsausschuss hat versagt, die drängendsten Fragen nicht beantwortet, dafür aber Politik und Behörden entlastet“, so Ali Mete, Generalsekretär der Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG). Anlass ist der am Dienstag (5.12.2023) vorgelegte Bericht des parlamentarischen Untersuchungsausschusses zum rassistisch motivierten Terroranschlag in Hanau am 19. Februar 2020.



Ali Mete weiter: „Der Bericht des Hanau-Untersuchungsausschusses hätte enttäuschender kaum ausfallen können – in mehrfacher Hinsicht: Zum einen ist es dem Ausschuss nicht gelungen, Antworten auf drängende Fragen zu geben. Zum anderen wurden keine Konsequenzen aus dem massiven Versagen des Sicherheitsapparates gezogen. Vielmehr gleicht der Bericht einem Entlastungsprotokoll für die Verantwortlichen: Verschweigen, was nicht bekannt wurde; bedauern, was nicht zu leugnen ist. Eine Notausgangstür, die Augenzeugenberichten zufolge auf polizeiliche Anordnung rechtswidrig verschlossen wurde und damit den einzigen Fluchtweg der Opfer versperrte; ein Polizeinotruf, der für die Opfer kurz vor ihrer Ermordung wiederholt nicht erreichbar war; ein unfassbar unsensibler Umgang von Polizei, Justiz und Politik mit den Opfern und Hinterbliebenen nach den rassistisch motivierten Morden. Allein diese Vorwürfe wiegen so schwer, dass strukturelle sowie personelle Konsequenzen das Mindeste wären. Dass dieses massive Versagen keinerlei Folgen hatte, spricht Bände. Nicht nur für die Betroffenen und die Hinterbliebenen ist der jetzt vorgelegte Bericht ein deutliches Signal, dass von Rassismus betroffene Menschen in Deutschland sich im Zweifelsfall kaum auf die staatliche Sicherheitsarchitektur, das Justizwesen oder auf Volksvertreter in Parlamenten verlassen können. Damit reiht sich Hanau nahtlos in den NSU-Skandal und zahlreiche andere nicht aufgearbeitete Fälle mit rassistischem Hintergrund ein. Ein weiterer Tiefpunkt, den man sich so nicht hätte vorstellen können. Die Islamische Gemeinschaft ist fest an der Seite aller Betroffenen. Hanau ist auch ein Angriff auf uns, auf alle nicht-deutsch Gelesene, ein Angriff auf die Vielfalt, auf unsere Gesamtgesellschaft. Wir sind zutiefst betroffen. Wir sind Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar und Kalojan Velkov.“

Jörg-Michael Müller, Obmann der CDU-Fraktion im Untersuchungsausschuss Hanau, zur Plenardebatte zum Abschlussbericht: „Am 19. Februar 2020 wurden in Hanau zehn unschuldige Menschen auf grausame Weise ermordet, neun von ihnen fielen dem rassistisch motivierten Hass eines Einzeltäters zum Opfer. Diese abscheuliche Tat riss nicht nur Familien und Freunde aus ihrem Leben, sondern zerstörte auch sämtliche Hoffnungen auf eine gemeinsame Zukunft mit den geliebten Kindern, Geschwistern und Freunden. Die Schreckenstat hinterließ nicht nur in Hanau, sondern überall bei uns in Hessen Bestürzung, Fassungslosigkeit und ein Gefühl der Ohnmacht. Der hierzu berufene Untersuchungsausschuss hat sich in 42 Sitzungen mit der Aufarbeitung dieser schrecklichen Geschehnisse befasst. So ist es gelungen, diese unfassbaren Mordtaten lückenlos nachzuzeichnen und bestehende Fragen umfassend aufzuklären. Auch das Vorgehen der hessischen Behörden wurde kritisch und umfassend aufgearbeitet. Der Untersuchungsausschuss sammelte umfassende Beweise, befragte 84 Zeuginnen und Zeugen sowie 12 Sachverständige und wertete einen Aktenbestand von 352.705 Seiten aus. Dabei konnten wir auch feststellen, welche Versäumnisse auf Seiten der Behörden des Main-Kinzig-Kreises im Zusammenhang mit der Waffenerlaubnis des Täters und auf Seiten der Stadt Hanau im Zusammenhang mit der Kontrolle des Notausgangs der Arena Bar vorlagen. Auch die Arbeit der Sicherheitsbehörden wurde kritisch untersucht. Erschwert wurde diese Betrachtung durch die wechselnden Zuständigkeiten von Landes- zu Bundespolizei. Trotz der extremen Herausforderungen des Terroranschlags zeigte sich, dass Hessen auf die Arbeit und den besonderen Einsatz seiner Polizistinnen und Polizisten, insbesondere in den schlimmsten Momenten, fest vertrauen kann. Auch wenn das Anschlagsgeschehen, das nur wenige Minuten dauerte, trotz der sofort eintreffenden Polizeikräfte nicht mehr verhindert werden konnte, haben die Polizistinnen und Polizisten unter den Extrembedingungen Außergewöhnliches geleistet. Für diese Arbeit danken wir den Beamtinnen und Beamten ausdrücklich! Der Abschlussbericht wurde in Zusammenarbeit mit den anderen demokratischen Fraktionen des Hessischen Landtages erarbeitet. In einem erfreulich sachbezogenen Austausch wurde über weite Teile überparteilich konsensfähig herausgearbeitet, wie das Land Hessen und die hessischen Behörden aus diesen Ereignissen lernen und bereits laufende Reformprozesse weiter beschleunigen können. Verbliebene Teilsondervoten konnten trotz der teils lebhaften Diskussionen im Verlauf des mehrjährigen Untersuchungsausschusses auf ein Mindestmaß begrenzt werden. Die verbliebene Kritik halten wir für falsch. Uns tut es leid, dass unser Land, die Polizei und jedermann diesen schrecklichen Anschlag auf das Leben dieser Menschen mit rechtsstaatlichen Mitteln nicht verhindern konnten.“

Vanessa Gronemann, Obfrau im UNA 20/2 der GRÜNEN Landtagsfraktion: "In der heutigen Plenardebatte wurde der Abschlussbericht des Untersuchungssauschusses zum rassistischen Terroranschlag vom 19. Februar 2020 in Hanau besprochen. Im Vorwort des Abschlussberichtes bittet der Untersuchungsausschuss die Angehörigen und Überlebenden um Entschuldigung. Das kann zwar die Tat nicht ungeschehen machen und den Angehörigen den Schmerz nicht nehmen. Wichtig war für die GRÜNEN aber, diese Entschuldigung festzuhalten, denn der Staat hat es nicht geschafft, diese neun Menschen davor zu schützen, von einem Rassisten mitten aus ihrem Leben gerissen zu werden. Im Abschlussbericht sind viele Feststellungen getroffen, die ein fehlerhaftes Handeln der hessischen Behörden offenlegen. Ein anderes Handeln der zuständigen Behörden hätte aus unserer Sicht die Durchführung der Tat erschweren oder den Ablauf der Tat verändern können. Hätte der Täter keinen Waffenschein gehabt, wäre es für ihn schwieriger gewesen, an Waffen zu kommen. Hätte der Notruf der Situation angemessen funktioniert, wäre ein Einwirken auf Vili Viorel Păun möglich gewesen und er könnte möglicherweise noch leben. Wäre der Notausgang in der Vergangenheit nicht regelmäßig verschlossen gewesen und wäre sein ordnungsgemäßer Zustand durchgesetzt worden, wären die Opfer nicht davon ausgegangen, dass er verschlossen ist und hätten eine Chance gehabt, zu fliehen. Wäre mit den Angehörigen der Opfer angemessen umgegangen worden, hätte eine zusätzliche Traumatisierung und weitere Zweifel am Funktionieren staatlicher Institutionen vermieden werden können. Wir möchten uns nach Abschluss des Untersuchungsausschusses auch bei den Angehörigen und Überlebenden bedanken. Mit diesem Untersuchungsausschuss haben wir ihnen eine Menge zugemutet. Aber trotz ihres Schmerzes haben sie die Aufklärung dieser Tat unbeirrt vorangetrieben und vor allem dafür gesorgt, dass die Namen ihrer Liebsten nicht vergessen werden.“

Dr. h.c. Jörg-Uwe HAHN, Obmann der Fraktion der Freien Demokraten im Hessischen Landtag im Untersuchungsausschuss zum rassistisch motivierten Anschlag von Hanau (UNA 20/2), zeigt sich anlässlich der Plenardebatte am Dienstag zum Abschlussbericht des UNA 20/2 grundsätzlich zufrieden mit der Arbeit des Ausschusses: „Es ist gelungen, das Geschehen in der Tatnacht aufzuarbeiten und Fehler zu identifizieren. Eine wichtige Erkenntnis des Ausschusses ist, dass die Tat durch hessische Sicherheitsbehörden nicht zu verhindern gewesen wäre. Dennoch wurden Fehler gemacht, die sich nicht wiederholen dürfen.“ Die Freien Demokraten haben dem Abschlussbericht überwiegend zugestimmt und Vorschläge für Handlungsempfehlungen unterbreitet, die vollständig übernommen wurden. „Da in manchen Punkten kein Kompromiss möglich war, haben wir Freie Demokraten ein Sondervotum vorgelegt“, sagt Hahn. Teil des Sondervotums ist die Bewertung der Polizeiarbeit in der Tatnacht. „Obwohl es am Tatabend personelle Herausforderungen gab, haben die Einsatzkräfte der Polizei erfolgreiche Arbeit geleistet“, betont Hahn. Kritik übt Hahn aber an hohen Vertretern des Innenministeriums und der Polizei, denn der Untersuchungsausschuss habe gezeigt, dass es durch diese viel zu wenig Unterstützung für die Polizisten gab. Hahn fordert: „Die hessischen Sicherheitsbehörden benötigen eine echte und offene Fehler- und Führungskultur. Wichtig für eine gute Fehlerkultur sind Wertschätzung und Vertrauen - die Einsatzkräfte müssen sich auf die Unterstützung der Polizeiführung und des Innenministeriums verlassen können.“ Im Hinblick auf die Erreichbarkeit des Notrufs sind die Freien Demokraten zu einem anderen Urteil gekommen als der Abschlussbericht und haben dieses in ihrem Sondervotum festgehalten. „Die Notruf-Infrastruktur der zuständigen Polizeistation war bereits Jahre vor dem Anschlag unzureichend. Obgleich unklar ist, ob ein funktionierender Notruf in der Tatnacht Leben hätte retten können, ist dieser Zustand nicht tolerierbar. Die Erreichbarkeit des Notrufs ist ein zentrales Versprechen des Rechtsstaats und muss jederzeit gegeben sein“, unterstreicht Hahn und ergänzt: „Die Verantwortlichen kamen ihrer Verpflichtung nicht nach, für eine funktionierende und ausreichend ausgestattete Notruf-Infrastruktur zu sorgen. Dass die Leitungen des Polizeipräsidiums Südosthessen sowie des Landespolizeipräsidiums dafür keine Verantwortung übernehmen, ist inakzeptabel.“

Zum Abschlussbericht des Hanau-Untersuchungsausschusses sagt Dirk Gaw, Obmann der AfD-Fraktion: „Wir haben es geschafft, uns auf einen weitgehend übereinstimmenden Abschlussbericht zu einigen. Ein völlig falscher Ansatz war es, die Ergebnisse des Untersuchungsausschusses in den Wahlkampf hineinzuziehen. Parteipolitische Interessen sind bei einer objektiven Aufarbeitung dieser grausamen Tat gänzlich fehl am Platz. Ohne parteipolitische Manöver wäre es auch möglich gewesen, einen vollständig übereinstimmenden, gemeinsamen Abschlussbericht zu beschließen. Es lohnt sich auch zu fragen, wie auf die Ausschussarbeit reagiert wurde: Insbesondere die von den Angehörigen gestellten Fragen sind legitim und hatten eine objektive und offene Prüfung verdient. Dazu muss jedoch auch gehören, dass die Feststellungen des Ausschusses nicht als politisch angenehm oder missliebig bewertet werden. Zudem müssen sie unabhängig von der Akzeptanz bei der eigenen Wählerschaft bestehen. Im Namen der AfD-Fraktion möchte ich abschließend den Überlebenden, Hinterbliebenen und Freunden der Opfer unser tiefstes Mitgefühl aussprechen.“


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