Artist Dieter Kretzschmar: Von Flucht, Hoffnung und dem Leben im Showgeschäft

Auf Einladung von Oberbürgermeister Claus Kaminsky (links) besuchte Artist Dieter Kretzschmar das Hanauer Rathaus und erzählte vor Ort einen Teil seiner bewegten Lebensgeschichte.

Hanau
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Das Medieninteresse am Wahl-Hanauer Dieter Kretzschmar ist groß. Kürzlich veröffentlichte Autorin und Sängerin Hera Lind den Roman "Mit Mut zur Liebe", der auf dem bewegten Leben des in Dresden geborenen Artisten basiert. Über einen Beitrag in der Zeitung wurde auch Oberbürgermeister Claus Kaminsky (SPD) auf den mittlerweile 83-Jährigen aufmerksam – und lud ihn daraufhin zu einem Gespräch ins Rathaus ein. "Der Artikel, den ich in der Zeitung über Sie gelesen habe, hat meine Neugier auf Sie und ihre Geschichte geweckt", sagt der OB im Gespräch mit Kretzschmar.



Geboren wurde Kretzschmar in der ehemaligen DDR. Seine Faszination für das Artisten-Dasein wurde ihm dabei in die Wiege gelegt, wie er erzählt: "Mein Vater war ebenfalls Artist. Er lebte zeitweise in russischer Gefangenschaft und machte in dieser Zeit immer wieder Shows für die Russen. Das hat ihm sein Leben im Gefängnis deutlich erleichtert." Insbesondere das Jonglieren hatte es Kretzschmar angetan. Schon früh wollte er selbst ins Showgeschäft einsteigen. "Meine Eltern hatten mich jedoch dazu überredet, erst einmal einen vernünftigen Beruf zu erlernen. Also wurde ich zunächst Steinmetz und Bildhauer", so Kretzschmar.

Trotzdem ließ ihn der Wunsch nach einem Leben auf der Bühne nicht los. Entsprechend setzte er nach seiner Lehre alles daran, diesen Traum zu verwirklichen. "In der DDR musste man hierfür eine Prüfung im Friedrichstadtpalast ablegen. Obwohl ich das Artist-Sein nicht offiziell erlernt hatte, bekam ich die Chance dazu und konnte die Prüfer letztendlich überzeugen", sagt Kretzschmar.

Ein einschneidendes Erlebnis stellte für ihn dann die Errichtung der Mauer in Berlin dar. Schnell wurde ihm klar, dass er aus der DDR fliehen wollte. Mehrere Anläufe waren nötig, bis die Flucht nach Westdeutschland gelang. "Bei meinem ersten Fluchtversuch hatte ich es bis an Bord eines Flugzeugs geschafft. Dort erfolgte jedoch dann erneut eine Passkontrolle, bei der ich abgeführt und anschließend ins Kreuzverhör genommen wurde. Ich hatte Glück: Es war Heiligabend und die Beamten wollten nach Hause zu ihren Familien. So kam ich mit einem blauen Auge davon."

In der Folge sicherte sich Kretzschmar immer wieder Aufträge im Ausland – unter anderem im ehemaligen Jugoslawien. Bei seiner zweiten Jugoslawien-Reise gelang ihm dann die Flucht in den Westen. Kretzschmars Erzählungen sind lebhaft, sehr detailliert und werden immer wieder von einem zufriedenen Lächeln untermalt. Es sind Erinnerungen an gute Zeiten in schwierigen politischen Verhältnissen. "Ich muss ganz klar sagen, dass ich in der DDR gut und finanziell auskömmlich leben konnte. Trotzdem war mein Drang nach Freiheit immer größer", sagt er. In der Bundesrepublik verschlug es ihn zunächst nach Babenhausen, ehe er schließlich in Hanau landete – und bis 2003 als Artist arbeitete.

In der Folge arbeitete er dann beim ADAC – wo er auch Oberbürgermeister Claus Kaminsky bediente und beraten konnte. "Sehen Sie es mir bitte nach – damals war mir nicht bewusst, wem ich gerade gegenüberstehe", sagt der OB schmunzelnd. Die Anekdoten, die Kretzschmar über sein ereignisreiches Leben erzählt, hinterlassen einen großen Eindruck bei Hanaus Oberbürgermeister. Zeitgleich sieht Kaminsky viele Parallelen zwischen dem, was Kretzschmar erlebte und aktuellen Ereignissen und Debatten: "Bereits mit vier Jahren haben Sie den Feuersturm auf Dresden miterlebt und am eigenen Leib erfahren müssen, welch fatale Folgen faschistische Regimes führ ihre Bevölkerung bedeuten. Später in Ihrem Leben sind Sie dann aus einem Staat geflohen, der vor allem auf die Überwachung, Einschüchterung und Unterdrückung der Bevölkerung setzte. Vielen ist heute glaube ich nicht mehr bewusst, welch einmaliger Glücksfall die Wiedervereinigung Deutschlands für alle Bürgerinnen und Bürger war – und wie viele wichtige persönliche Freiheiten wir alle heute genießen können. Wir alle sollten nicht vergessen, dass es noch nicht lange her ist, dass für viele Menschen in Deutschland ein freies, selbstbestimmtes Leben beinahe unmöglich war."

Am Ende des Gesprächs mit Dieter Kretzschmar betonte Oberbürger Claus Kaminsky zudem, dass er den Fachkolleginnen und -kollegen auftragen wird, den Artisten gemeinsam mit Autorin Hera Lind in das Hanauer Kulturforum zu einer Lesung des Romans "Mit Mut zur Liebe" einzuladen. "Ihre Geschichte ist packend, interessant und mit Blick auf Themen wie Flucht und dem unbändigen Wunsch nach Freiheit, Frieden und Selbstverwirklichung aktueller denn je. Darum würde ich mich sehr darüber freuen, wenn viele Hanauerinnen und Hanauer die Chance erhalten, ihre Geschichte zu hören und mit Ihnen ins Gespräch zu kommen", so der OB abschließend.

artistdietmar az

Auf Einladung von Oberbürgermeister Claus Kaminsky (links) besuchte Artist Dieter Kretzschmar das Hanauer Rathaus und erzählte vor Ort einen Teil seiner bewegten Lebensgeschichte.


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