Wolfgang Bindrim spricht über Theodor Fontane

Schlüchtern
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Auf Einladung der Europa-Union, Kreisverband Schlüchtern-Gelnhausen, spricht der Schlüchterner Germanist, Magister Wolfgang Bindrim, in einer öffentlichen Veranstaltung, zu der der Eintritt frei ist, am Donnerstag, 14. Februar 2019, um 19:30 Uhr in der Gaststätte "Zum Eckebäcker", Unter den Linden 13, Nebenraum, in Schlüchtern über das Thema "Theodor Fontane - ein europäischer Erzähler".



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Am 20. September des vergangenen Jahres hat man seines 120. Todestages gedacht, am 30. Dezember dieses Jahres wird man seines 200. Geburtstages gedenken. Das "Theodor-Fontane-Jahr" ist bereits ausgerufen.

Theodor Fontane, der eine Apothekerlehre macht, aber dann als Korrespondent, Reisejournalist, Kriegsberichterstatter und Theaterkritiker arbeitet, schafft ein umfangreiches lyrisches, episches und journalistisches Werk. Neben seinen Balladen wie "Archibald Douglas", "Gorm Grymme", "Die Brück' am Tay", "John Maynard" und "Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland" und neben seinen "Wanderungen durch die Mark Brandenburg" ("Die Grafschaft Ruppin", "Das Oderland", "Havelland", "Spreeland" und "Fünf Schlösser") begründen bis heute sechzehn Erzählungen und Romane als Alterswerke seinen literarischen Ruhm: "Vor dem Sturm", "Grete Minde", "Ellernklipp", "L'Adultera", "Schach von Wuthenow", "Graf Petöfy", "Unterm Birnbaum", "Cécile", "Irrungen, Wirrungen", "Stine", "Quitt", "Unwiederbringlich", "Frau Jenny Treibel oder 'Wo sich Herz zum Herzen find't'", "Effi Briest", "Die Poggenpuhls" und "Der Stechlin". Aus dem Nachlass wird der Roman "Mathilde Möhring" veröffentlicht.

Theodor Fontane, den nach eigenem Zeugnis ein ganz ausgebildeter Sinn für Tatsächlichkeiten auszeichnet, gilt als Vertreter des poetischen oder bürgerlichen Realismus, dem auch Adalbert Stifter, Friedrich Hebbel, Theodor Storm, Gottfried Keller, Conrad Ferdinand Meyer und Wilhelm Raabe zugeordnet werden, und steht als Romancier in der Tradition der Franzosen Gustave Flaubert und Émile Zola sowie der Russen Iwan Turgenjew, Fjodor Michailowitsch Dostojewski und Lew Nikolajewitsch Tolstoi. Die genaue Gesellschaftsanalyse und -kritik teilt er mit dem Norweger Henrik Ibsen. Effi Briests literarische Schwestern sind Emma Bovary, Anna Karenina und Nora Helmer. Auch setzt er sich in seinen Romanen mit Richard Wagner auseinander, indem er als Figuren Wagner-Verehrer und Wagner-Gegner auftreten lässt und Themen und Motive aus dessen Musikdramen aufgreift. Ihn verbindet mit ihm auch die Technik der Leit- oder Erinnerungsmotive. Insofern ist der Realist Theodor Fontane auch ein Romantiker und ein Dichter der Décadence. Wie Heinrich von Kleist macht er Preußen zu seinem Thema.

Die Romane und Erzählungen, die zuerst als Vorabdrucke in Zeitungen und Zeitschriften veröffentlicht werden, ehe sie als Bücher erscheinen, um durch diese zweifache Auswertung die freie Schriftsteller-Existenz finanziell besser zu sichern, gehören zur bürgerlichen Unterhaltungsliteratur, grenzen sich aber davon ab und provozieren sogar die zeitgenössischen Leser. Es handelt sich überwiegend um sozialkritische Zeitromane: Der Gesellschaftsroman ist im 19. Jahrhundert ein Ehe- und Ehebruchs-Roman. Der bürgerlichen Gesellschaft, in der sich auch der dekadente Adel "verbürgerlicht", gilt die Ehe als zentrale soziale Institution, deren Verletzung die Moral und damit Anstand und Ordnung gefährdet. Wenn die Frau versucht, aus ihrer Rolle als Ehe- und Hausfrau, aber auch als Mutter auszubrechen, wird sie von der Gesellschaft als "gefallene Frau" verurteilt. Mit seinen Berlin-Romanen wird Fontane, der im Revolutionsjahr 1848 ein radikaler Demokrat ist, aber schon bald den Umgang mit konservativ Gesinnten in Preußen nicht scheut, zum Chronisten des Bismarck-Reiches. In seinem Werk geht der "Schwefelgelbe" um: nämlich der "Eiserne Kanzler", der nach seiner Uniform, nach derjenigen der Halberstädter Kürassiere, so genannt wird.

Als Autor verlangt Theodor Fontane, dessen ganzes Schaffen "Psychographie und Kritik" ist, wie er selbst sagt, nach dem aufmerksamen, mündigen und gebildeten Leser, der die feinen Nuancen und ironischen Anspielungen seines Sprach- und Erzählstils nicht nur erkennen, sondern auch genießen kann. Nicht auf das "Was", sondern auf das "Wie" kommt es ihm an: auf die "Finessen". Der Leser von heute, den die von Theodor Fontane behandelten Themen wie Ehrenkodex, Konflikt zwischen altem Adel und neuem Bürgertum, arrangierte Ehen zwischen älteren Männern und jüngeren Frauen, bürgerliche Moral bzw. Doppelmoral und Ehebruch nicht mehr interessieren, wird auch dadurch irritiert, dass er indirekt erzählt, wichtige Szenen ausspart und die Figuren durch ihre Redeweisen im und durch den Dialog charakterisiert.


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