„...da ertrinken täglich Menschen...“

Wächtersbach
Typographie
  • Smaller Small Medium Big Bigger
  • Default Helvetica Segoe Georgia Times

Ein emotional bewegender Abend, der in einer intensiven Diskussion zum Thema „Seenotrettung“ endete.

Anzeige


daertrinken.jpg

daertrinken1.jpg

Auf diesen Nenner lässt sich die Filmvorführung „Minden Replying. Die tödlichste Fluchtroute der Welt“ bringen, zu der der ehrenamtliche Wächtersbacher Helferkreis „Engagiert für Flüchtlinge“ am zurückliegenden Samstag in den Kulturkeller eingeladen hatte.

Robin Mastronardi, Fachberater der Ehrenamtskoordination und Migrationsberatung, der als Mitarbeiter des regionalen Diakonischen Werks Hanau-Main-Kinzig die ehrenamtliche Arbeit des Wächtersbacher Helferkreises koordiniert, moderierte die rund dreistündige Veranstaltung, bei der Stephan Siemon. Vereinsmitglied der Rettungsorganisation „Sea Eye“, als Ansprechpartner und Organisator des Films und überraschend Stefan Wirsing von der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger Fragen beantworteten. Die Veranstaltung wurde im Rahmen der Interkulturellen Wochen des Main-Kinzig-Kreises angeboten.

In einem einleitenden Impulsreferat berichtete Siemon, der als Tauchlehrer seit Jahren viele Stunden auf und im Mittelmeer in kleinen Wasserfahrzeugen verbracht hat, welche Bedingungen die Flüchtenden auf dem Meer erwarten: 120 Meter tiefes Wasser unter dem Kiel, Boote, die den Namen nicht verdienen. Zu wenig Sprit. Im Boot stehen die Flüchtenden in einer Brühe, bestehend aus Salzwasser, Urin und Sprit. Wellen und Wind. 12 Meilen, also 22 Kilometer, sind mindestens zu fahren, um aus den libyschen Hoheitsgewässern herauszukommen. „Da siehst du schon lang kein Land mehr“, beschreibt Siemon.

Die Flüchtenden können meist nicht schwimmen. „Schade, dass die Menschen, die aus Unkenntnis davon sprechen, Flüchtlinge würden aus knietiefem Wasser gerettet, ihre Ankündigung nicht wahr gemacht haben, heute Abend hier zu erscheinen“, bedauerte Siemon die verpasste Gelegenheit, mit (Vor-)Urteilen über die Seenotrettung aufzuräumen. Aktuell sei kein einziges Rettungsschiff unterwegs – entweder liegen sie „an der Kette“, dürfen also aus den Häfen nicht auslaufen, oder sie werden repariert. „Wir müssen uns darüber klar sein: Da ertrinken jeden Tag Menschen“, so Siemon.

Gastredner Gordon Isler, Vorstandsmitglied der Rettungsorganisation „Sea-Eye“ und schon auf mehreren Missionen an Bord, musste seinen Besuch kurzfristig absagen: Die Nichtregierungs-Organisation „Sea Eye“ steht vor dem Abschluss von Verträgen zur Anschaffung eines neuen Rettungsschiffs, sodass der Vorstand in Hamburg benötigt wurde. In einer viertelstündigen Videobotschaft berichtete er von seinen eigenen Erfahrungen auf Seenotkreuzern, erläuterte aber auch, wie sich das Klima gegenüber den Seenotrettern zum Negativen geändert hat: „Die Kriminalisierungs- und Diffamierungskampagne hat viel Vertrauen zerstört“, betont Isler. Das Vorgehen mancher EU-Staaten sei perfide: „Wir wollen vom Staat Malta wissen, was passieren muss, damit wir die „Seefuchs“ wieder fahren dürfen. Antwort: Wir müssen versprechen, dass wir als Rettungsorganisation nicht mehr an Such- und Rettungseinsätzen teilnehmen.“

Eine absurde Forderung, die jedoch das Dilemma im Mittelmeerraum verdeutlicht: „Die zivile Seenotrettung steht kurz vor dem Herzinfarkt.“ Die Folge sei klar: „Es wird niemand mehr merken, sehen und hören, wie Menschen im Mittelmeer sterben.“ Nicht umsonst behaupten schon heute Uninformierte, die Zahl der Flüchtenden über die Mittelmeerroute sei zurückgegangen. „Das stimmt nicht. Es ist ein grausames, kollektives Massensterben. Aber man hört einfach nichts mehr davon. Wenn wir nicht alle zusammen zupacken, werden wir uns an eine sehr grausame Welt gewöhnen müssen“, so Islers emotionaler Aufruf.

Der Film selbst – inzwischen in den USA mit einem ersten Preis auf einem Dokumentationsfilmfestival ausgezeichnet – zeigt in knapp 40 Minuten, welche enorme körperliche und emotionale Anstrengung die Ehrenamtlichen auf den Rettungsschiffen vollbringen, wenn sie an einem Einsatz teilnehmen. Die anschließende Diskussion eröffnete eine Teilnehmerin, die die Frage in den Raum warf, was die heute Erwachsenen ihren Kindern und Enkeln sagen werden, wenn diese fragen, was man angesichts dieser Tragödie selbst getan habe. „Wir kennen das doch, dass wir unsere Eltern und Großeltern gefragt haben zum Dritten Reich.“ Über die technischen Möglichkeiten, Rettungsschiffe samt Geflüchteten direkt nach Deutschland zu fahren, den Verlust der Humanität, das Alleinlassen von Italien und anderen Mittelmeer-Anrainern bis hin zur Pflicht zu Retten, verbesserte Bedingungen in den Herkunftsländern, der Verantwortung des Einzelnen und der Medien reichte die abschließende Diskussion.

Übrigens: Wer sich für Geflüchtete engagieren möchte, kann sich an Robin Mastronardi werden Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Foto: Robin Mastronardi und Stephan Siemon informieren im Rahmen der interkulturellen Wochen über die neuesten Entwicklungen der humanitären Krise auf dem Mittelmeer.

Foto: Betroffene Gesichter im Auditorium. Nach wie vor ertrinken fast täglich Menschen im Mittelmeer.


Ihnen ist etwas Interessantes aufgefallen im Main-Kinzig-Kreis? Schreiben Sie uns an info@vorsprung-online.de


Anzeige
Anzeige
Anzeige
Anzeige
Anzeige

online werben

Anzeige
Anzeige
Anzeige
Anzeige

vogler banner

Anzeige

vogler banner

Anzeige

Online Banner 300x250px MoPo 2