Chefsache. Ein Drama in 5 Akten.

Wächtersbach
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"Es war ein großer Coup, der medienwirksam ausgeschlachtet wurde: Auf Betreiben des Wächtersbacher Bürgermeisters Andreas Weiher öffnete eine psychologische Praxisgemeinschaft, bestehend aus drei psychologischen Einzelpraxen, ihre Pforten in den Räumlichkeiten des alten Amtsgerichts", so beginnt eine Pressemitteilung der Wächtersbacher Grünen.

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Zum ersten Juli 2016 sei es losgegangen und Bürgermeister Weiher habe in der Zeitung „alles Gute“ für eine Praxis gewünscht, die „gut zu der Idylle des Anwesens“ passe. Alle hätten sich gefreut, denn die medizinische Versorgung auf dem Land sei ein wichtiges Thema, mit dem man nicht nur gerne Wahlkampf betreibt, sondern in das auch zurecht viel Geld investiert wurde, um die Daseinsvorsorge der Bürger zu sichern.

"Doch war dies leider nur der erste Akt, der Auftakt einer Erzählung, die sich über zwei Jahre spannen sollte. Im persönlichen Gespräch datiert Dipl. psych. Birgit Ziessler den Beginn des zweiten Aktes auf das Ende des Jahres 2017: Trotz mehrmaliger Nachfrage im Rathaus wurden zwei Gesprächstermine mit dem Bürgermeister kurzfristig abgesagt und die Bitte um weitere Termine abgelehnt mit dem Hinweis, es 'bestehe kein Gesprächsbedarf'. Stattdessen erfuhren die Psychologen in einem schnörkellosen Brief, dass ihr Mietverhältnis zum 1.1.2019 wegen Renovierungsarbeiten fristgerecht gekündigt sei. Rechtlich ist das fraglos wasserdicht. Aber was wurde aus den guten Wünschen und der vielfach proklamierten Sicherung der medizinischen Versorgung für alle Wächtersbacher?", fragen de Grünen.

Sommer 2018, dritter Akt: Die Mitglieder der Grünen Bürgerliste Wächtersbach erfuhren von den Vorgängen und nahmen sich der Sache an. Nach eingehender Beratung war man sich intern über die Dringlichkeit einig, weshalb die Fraktion im Juni einen Eilantrag in die Stadtverordnetenversammlung einbrachte. Nach einer Stellungnahme des Bürgermeisters, er habe sich der Sache schon angenommen, sei im Gespräch mit den Psychologen und suche aktiv nach Räumlichkeiten in Wächtersbach, sei mit den Stimmen der SPD Wächtersbach verhindert worden, dass der Antrag in der Junisitzung überhaupt verhandelt werden konnte.

„Eine für Kassenpatienten zugelassene Praxis zu verlegen ist ein aufwändiger, langwieriger Prozess - selbst, wenn die neue Praxis nur eine Straße weiter wäre“, erklärt dazu die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Eva Bonin. „Von verschiedenen direkt Betroffenen weiß ich: Die bürokratischen Hürden sind enorm, es können Monate bis zur Genehmigung vergehen. Entsprechend irritiert waren wir von der Ruhe, mit der die SPD Fraktion und der Bürgermeister dem Stichtag 01.01.2019 entgegensahen." Stattdessen sei der Antrag „auf Eis gelegt" und auf die Tagesordnung der Augustsitzung gesetzt worden. "Unglücklicherweise" sei das Protokoll der besagten Juni-Sitzung nicht auf der Webseite der Stadt online einzusehen - obwohl laut Beschluss der Stadtverordnetenversammlung jedes Sitzungsprotokoll auf der städtischen Website zu veröffentlichen sei.

"August, der Antrag ist 2 Monate lang gereift und der vierte Akt wird mit der nächsten Stadtverordnetenversammlung eingeläutet: Die verschiedenen Akteure haben sich in Stellung gebracht. Ein paar Tage zuvor war auch endlich tatsächlich ein Gespräch mit den Praxisinhabern zustande gekommen – nachdem sich viele Wächtersbacher, Patienten wie Bürger sowohl im Internet als auch (mutmaßlich) direkt beim Bürgermeister über dessen Untätigkeit empört hatten. Doch zurück zum Souverän der Stadt: Gleich zwei Änderungsanträge werden gestellt. Anstoß findet die Formulierung der Grünen, der Magistrat möge den Mietvertrag verlängern oder andere geeignete Räumlichkeiten zur Verfügung zu stellen. Am Ende wird daraus: 'Der Magistrat wird gebeten bei der Suche nach Räumlichkeiten für die psychotherapeutische Gemeinschaftspraxis unterstützend mitzuwirken, um deren Abwanderung zu verhindern. Es sollen auch private Vermieter mit geeigneten Objekten in die Bemühungen einbezogen werden.' Der geneigte Leser möge raten, welches Logo auf diesem Änderungsantrag prangte. Wer sich da an die Dieselaffäre und die Erwartung der Bundesregierung erinnert fühlt, die Autohersteller würden sich des Problems mit 'attraktiven Angeboten' annehmen, liegt wahrscheinlich nicht ganz falsch", so die Grünen, und weiter: "Fünfter Akt und Abgesang: 1.11.2018. Der Mietvertrag für neue Räumlichkeiten der psychologischen Praxis wird unterschrieben. Leider nicht in Wächtersbach. Nachdem sich sämtliche städtischen Immobilien als ungeeignet herausgestellt und die vom Bürgermeister auf den letzten Drücker vermittelten Kontakte zu den Eigentümern möglicher privater Mietobjekte aus verschiedenen Gründen ebenfalls als nicht passend herausgestellt hatten, musste man notgedrungen auf die Nachbarkommunen ausweichen. Bad Soden-Salmünster wird seine medizinische Grundversorgung ab Januar 2019 durch eine neue psychologische Praxisgemeinschaft verbessern können."

Das ist schade, findet auch Daniel Junglas, Stadtverordneter der Grünen Fraktion: „Durch rechtzeitiges entschlossenes Handeln hätte man den Wegzug der Praxisgemeinschaft sicherlich verhindern können. Im Rathaus fehlte aber offenbar der unbedingte Wille, diese in Wächtersbach zu halten.“ Die Grüne Fraktion bedankt sich bei den Psychologen für ihr Engagement und ihr Durchhaltevermögen. Auf die Anfrage, wohin ihr Weg in Zukunft führen würde, habe sie geantwortet: „Wir bedanken uns bei den Bürgern von Wächtersbach, die uns bei der Suche nach Praxisräumen unterstützt haben. Zudem freuen wir uns, ab dem 01.01.2019 in der Bad Sodener Str. 18 in 63628 Bad Soden - Salmünster weiterhin für unsere Patienten tätig sein zu dürfen und damit die psychotherapeutische Versorgung aufrechterhalten zu können.“


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