In sachlicher Detailarbeit die Trassenplanung der Bahn begleiten

Wächtersbach
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Nach einem Jahr Suche war es endlich soweit: Annika Herchenröther vom Vorstand des Vereins ProWächtersbach konnte Gottfried Lehr, Landschaftsarchitekt und Gewässerexperte, im Kulturkeller zu einem Vortrag begrüßen.

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Der erfahrene Fachmann, dessen Forschungsgebiet insbesondere die Nidda, aber auch die Kinzig ist, arbeitete mit Karten- und Bildmaterial, wurde ausgesprochen detailreich, und damit wurde der Vortrag auch hoch interessant für die Mitglieder, deren Anliegen es ist, in sachlicher Detailarbeit die Trassenplanung der Bahn, die in der Region eine Schnellfahrstrecke bauen wird, zu begleiten.

„Die Kinzig ist sauberer als die Nidda, das hätte man vor 30 Jahren so nicht erwartet“, betonte der Referent. Allerdings stehe sie vor einem „grundsätzlichen ökologischen Problem dadurch, dass sie an vielen Stellen so aufgestaut ist.“ Insbesondere der Stausee sei „eine absolute Katastrophe, das sind Dinge, die so in der Natur nicht vorkommen, außer nach einem Vulkanausbruch oder dergleichen.“ Die Kinzig sei früher „gut ein Drittel länger gewesen“, die Verkürzung sei der in ganz Deutschland betriebenen Begradigung von Flüssen zu verdanken. Auf langen Strecken gibt es sehr viel Grünland. Im Gegensatz zu anderen Gewässern gibt es weniger Eintrag von Feinsediment in den Fluss - „das ist eine Todesfalle für Fische und Wirbellose, das Schlimmste, was einem Fluss passieren kann nach der Begradigung.“ Die Sohlschwellen seien ein deutliches Defizit der Kinzig, weil im Staubereich die Fließstrukturen fehlen.

Ein Fluss bewirkt generell nicht nur in der Tiefe, sondern auch in der Breite eine Erosion, erläuterte der Experte, der mit Bildmaterial verdeutlichte, wie ein Prallhang die Kinzig an diversen Stellen fast doppelt so breit mache. An vielen Stellen sei die Kinzig jedoch beidseitig mit Steinen befestigt, sodass der Fluss sich von der Seite her keine Sedimente holen kann. „Die Vielfalt des Lebensraums bedingt auch die Vielfalt im Wasser. Das ist der angestrebte Naturzustand des Flusses, der aber nicht mehr an vielen Stellen da ist.“ Für den Fachmann steht fest: „Gewässer brauchen Platz, wenn sie den nicht haben, nehmen sie ihn sich.“

Für die anwesenden Mitglieder von ProWächtersbach wurde an der Stelle deutlich, wie wichtig es ist, die Renaturierung der Kinzig mit ins Verfahren einzubringen. In einer der nächsten Veranstaltungen soll diskutiert werden, welche Ausgleichsmaßnahmen der Verein anstreben will. In jedem Falle, sozusagen als Minimalforderung, sollen sie hier vor Ort stattfinden und nicht erst nach Abschluss der Bauarbeiten, sondern möglichst früh. Eine wichtige Kompensationsmaßnahme, an die gedacht werden könne, wäre ein breiter Streifen entlang der Kinzig, der erworben werden soll, um so die Renaturierung voranzutreiben. „Es ist wichtig, dass es Flächen gibt, in die sich der Fluss hinein entwickeln kann“, betonte Lehr.

Das Kinziggebiet sei FFH-Bereich, gehöre also zu den speziellen Schutzgebieten in Natur- und Landschaftsschutz, in denen die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinien gälten. Dadurch, dass entlang der Kinzig „kaum Häuser und wenig intensive Landwirtschaft“ zu finden seien, könne man von einer weitgehend intakten Aue sprechen – wenn auch der Normalzustand ein Auenwald entlang des Flusses wäre. „Aber wenn wir regelmäßig essen wollen, werden wir uns so etwas künftig nicht mehr leisten können. Die Lebensmittel wachsen nicht bei Aldi im Regal“, so Lehr.

Den auch vom Verein im Wiesengrund, durch den nach den Planungen der Bahn künftig die neue Bahntrasse führen soll, beobachteten Eisvogel beschrieb Lehr als „relativ häufig“. Ein aktuelles Problem sei in den Flüssen die Wassertemperatur, die „teilweise bis 25 Grad erreicht. Da können Sie Guppys züchten.“ Was die Fische retten könne, seien Bäume, die das Gewässer beschatten. „Für ein ökologisch halbwegs stabiles Gewässer mit einer nachhaltigen Funktionalität ist eine geschlossene Behölzung nötig.“ Der Biber trage als „ein super Landschaftsarchitekt“ zu einer Gehölzverjüngung bei. Der informative Vortrag wurde immer wieder von Diskussionsbeiträgen bereichert, mit denen sich die fachkundigen Besucher einbrachten.

Für den 31. Januar kündigte Vereinsvorsitzende Andrea Euler einen weiteren Vortrag an: Verwaltungsjuristin Joy Hensel wird um 19:30 Uhr wiederum im Kulturkeller das komplexe Themengebiet „Entschädigung und Enteignung. Was bedeutet der Bau der Bahntrasse für Haus- und Grundeigentümer“ beleuchten.


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