Leise rieselt die Vier

Wächtersbach
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Zum Altstadtstammtisch mit Charakterköpfen kamen am 2. November wieder viele Gäste zusammen, um dem ehemaligen Gemeindepfarrer Christoph Schilling zu lauschen.

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Der Kunstraum im ehemaligen Adelshof der Herren von Rumpenheim schuf einen schönen Rahmen für das Thema der Zusammenkunft. Pfarrer Schilling stellte nämlich gerade noch rechtzeitig vor dem 1. Advent den geschichtlichen und musikalischen Hintergrund von Weihnachtsliedern vor. Selbstverständlich blieb es nicht beim Lauschen. Es wurde nicht nur inbrünstig gesungen, sondern auch diskutiert und Erfahrungen ausgetauscht. Für manche überraschend: Einzelne Gäste berichteten von einer ausgeprägten Fastenzeit im Advent, während der noch vor ein oder zwei Generationen die Plätzchen weggesperrt wurden.

Zum Aufwärmen durfte jeder Teilnehmer das Weihnachtslied nennen, das ihm als erstes einfällt, um dann sein Lieblingslied anzufügen. In der zweiten Kategorie ergab sich rasch ein reichhaltiges Spektrum, während in der ersten recht häufig Stille Nacht und Oh du fröhliche genannt wurden. Pfarrer Schilling spannte dann den Bogen zur biblischen Weihnachtsgeschichte. Bereits dort werde so viel musiziert wie zu keinem anderen biblischen Anlass, nicht nur von den Himmlischen Heerscharen.

Schnell bestand Einigkeit, dass Lieder immer ein Spiegel ihrer Zeit sind. Was aber alle Weihnachtslieder eint, ist die Sehnsucht nach einer heilen Welt. Viele Lieder waren der Kirche lange Zeit zu gefühlig. So fand etwa Stille Nacht erst zur jüngsten Gesangbuchreform den Weg ins Evangelische Gesangbuch, immerhin etwa 180 Jahre nach seiner Komposition. Eine spannende Geschichte ist auch die Entstehung von Oh du fröhliche. Der Dichter arbeitete mit vernachlässigten Jugendlichen. Ein italienischer Junge sang in seiner Muttersprache ein Marienlied, das in der weltlichen Variante ein sizilianisches Schifferlied war. Der deutsche Dichter passte dann den knappen Text der drei Strophen, der sich heute gut für eine Twitter- oder SMS-Botschaft eignen würde, an die Bedürfnisse der betreuten Jugendlichen an. Zur Verblüffung der Gäste wechselte Pfarrer Schilling unversehens in die sehr ähnliche Melodie von We shall overcome. Auch für Parodien war Platz. Wer fängt das entsprungene Ros wieder ein, in welchem Lied lacht ein Owie, warum ist Marie die, die reine macht?

Der größte Fundus an Weihnachtsliedern stamme aus dem frühen 19. Jahrhundert, also der Biedermeierzeit. Das schöne an Kinderliedern sei, dass sie auch Erwachsene ansprächen. In den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg kamen englische Schlager hinzu wie White Christmas und Jingle Bells, so Christoph Schilling, der hier bei den meisten Teilnehmern schnell mangelnde Textkenntnis entlarvte. Er entließ die Gäste aber nicht, ohne einen Blick in die Brüche deutscher Geschichte zu werfen: Beide Diktaturen hätten es nicht geschafft, Weihnachtslieder aus dem Kulturgut zu drängen. Die Nationalsozialisten hätten aber gerade die beliebtesten Weihnachtslieder umgedichtet und so versucht, das Weihnachtsfest nicht nur zu entkirchlichen, sondern auch mit ihrer völkischen Ideologie und sogar mit Durchhalteparolen aufzuladen. Die DDR hingegen stellte für offizielle Anlässe zur Weihnachtszeit Lieder zur Verfügung, die gefühlige Äußerlichkeiten wie Lichter, Geschenke und Freude besangen.


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