Ein intensives amouröses Leben

Wächtersbach
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Der „Stammtisch mit Charakterköpfen“ des Altstadtfördervereins Wächtersbach tagte am Samstag, 21. Januar, im Altstadtcafé „Kinzz“ als literarische Runde und folgte dabei der Germanistin und Autorin Astrid Hohlbein aus Ortenberg-Selters bei ihrer Lesung aus den amourösen Abenteuern der Franziska zu Reventlow in deren 1912 erschienenen Briefroman „Von Paul zu Pedro“.

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Die Lesung inspirierte im Anschluss zu einer lebhaften Diskussion.

Für den Altstadtförderverein Wächtersbach begrüßte Vorsitzende Enesa Aumüller die Gäste und erinnerte daran, dass Astrid Hohlbein und die „Skandalgräfin“ zu Reventlow auch bei der Kunstroute im Sommer 2023 eine Rolle gepielt hatten: Das von Birgit Fuchs-Dohn gemalte Porträt der Gräfin zierte als Titelbild den Flyer der Kunstroute, wurde in Form eines Medaillons an alle teilnehmenden Künstlerinnen und Künstler verliehen, und Astrid Hohlbein las bei der Finissage der Veranstaltung aus der von ihr verfassten Biografie zu Reventlows „Das Unmögliche wollen“. Dabei, so Enesa Aumüller, habe Astrid Hohlbein alle neugierig gemacht – deswegen diese Lesung.

Astrid Hohlbein schickte voraus, dass sie 1997 ihr Germanistikstudium an der Goethe-Universität Frankfurt mit der Magisterarbeit über Franziska zu Reventlow abgeschlossen habe. Diese Frau habe sie seitdem beschäftigt, schließlich ergänzte sie das Material zu einer Biografie. Die Liebe und die Männer seien das Thema zu Reventlows gewesen. 1871 in Husum geboren, zog sie nach München und wurde Teil der Boheme, 1918 starb sie in Locarno an den Folgen eines Fahrradunfalls. 1912 veröffentlichte die Autorin „Von Paul zu Pedro“, ein leicht und locker geschriebenes Buch, aus dem Astrid Hohlbein dann ausgewählte Passagen zitierte, ergänzt um Aussagen aus der Biografie und den Briefen zu Reventlows an einen Jugendfreund. Das Buch, das in Form von Briefen an einen „Doktor R.“ verfasst sei, spiele hauptsächlich in Italien, in Rom, Venedig und Neapel. Die Attraktion für Männer spiele darin eine große Rolle, kein Verlangen, jemand zu besitzen. Es sei keine erotische Literatur in Sinne von Pornografie, deswegen sei es nicht der Zensur anheim gefallen. Zu Reventlow definiere Erotik als Ensemble von Reizen und Liebe als seriöse Dauersache. In „Von Paul zu Pedro“ sei der Paul ein Sammelname , „eine Begebenheit, die immer wieder kommt“, so Astrid Hohlbein. Er könne alles Mögliche sein, und in dem Buch beschreibe die Autorin einige Päule. Ein anderer beschriebener Männertyp sei der des Retters, einer, der es immer gut meine, gut, aufrichtig und unbequem. Und das sei „der schlimmste Typus der Männer“. Zu Reventlow beschreibe das sehr witzig, wie auch die ausgewählten Passagen zeigten. Mit „dem Retter“ sei Ludwig Klages gemeint gewesen, ein Grafologe, der in München zu einer „kosmischen Runde“ gehört habe. Den habe Franziska zu Reventlow 1899 kennen gelernt. Klages versuchte, die junge Frau nach seinem Bild zu formen, was ihr gar nicht gefallen habe. Andererseits sei er aber auch der Vormund ihres Sohnes gewesen, keine einfache Aufgabe, lebte er doch in München und sie im Tessin.

Auch „der fremde Herr“ werde in dem Buch beschrieben, der einzige, der erträglich sei, ein eleganter Gentleman, mit dem es niemals zu einer Beziehung kommen werde. Dieser „fremde Herr“ sei ein verheirateter Rechtsanwalt aus München gewesen, mit dem zu Reventlow 13 Jahre eine Beziehung gehabt habe. Als verletzend habe die Gräfin empfunden, dass dieser “fremde“ Mann nie seine Gefühle gezeigt habe. Und der „Pedro“ schließlich sei ein Mann von südländischem Temperament, mit dem die Protagonistin viel unternommen habe. Astrid Hohlbein zitierte als vergnügliches Beispiel eine Passage, die sich in einem – so wörtlich -„Homo-Lokal“ zugetragen habe.

Zum Schluss ging Franziska zu Reventlow in ihrer chronischen Geldnot „eine Distanzehe mit sehr viel Geld“ ein und heiratete den baltischen, einige Jahre älteren Baron Alexander von Rechenberg-Linten, mit sie einen Ehevertrag abschloss, und der sie testamentarisch zur Erbin einsetzte. Im Buch nennt sie ihn „den Seeräuber“, den sie 1911 heiratet. Drei Jahre später stirbt der Vater, der Alexander beerbt, und der Franziska die Hälfte gibt. Doch von dem Erbe bleibt der Witwe nicht viel, weil die Bank pleite macht.

In diesem Buch, schloss Astrid Hohlbein ihre Lesung, beschreibe die Autorin den Versuch, „so intensiv wie möglich zu leben“. Franziska zu Reventlow sei keine Freiheitskämpferin in dem Sinn gewesen, viel mehr sei es ihr darum gegangen, sich selbst zu verwirklichen. Sie habe sich gegen alle Konventionen durchgesetzt und es geschafft, als allein erziehende Mutter berufstätig zu sein, vor allem als Übersetzerin, außerdem versuchte sie sich als Malerin und Schriftstellerin.

In der anschließenden Diskussion wurde die Frage aufgeworfen, ob „die Skandalgräfin“ wohl eine Feministin gewesen sei, was sie eher nicht wahr. Außerdem ging es um das „Gendern“ in der Sprache und die Frage, ob die Frauen in der heutigen Zeit ein einfacheres Leben führen könnten. Auf jeden Fall, darin bestand Einigkeit, sei Franziska zu Reventlow eine beeindruckende Persönlichkeit gewesen.

Beim nächsten Stammtisch am 10. Februar ab 16 Uhr wird Elfi Kessler aus Hailer als Charakterkopf über ihre Liebe zur Kunst und die Teilnahme an der Kunstroute des Altstadtfördervereins berichten.

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