Hanau contra Kreis: "Befindlichkeiten helfen nicht weiter"

Politik
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Mit einem Offenen Brief hat sich Hanaus Bürgermeister Axel Weiss-Thiel (SPD) an den Landrat des Main-Kinzig-Kreises, Thorsten Stolz (SPD), und die Erste Kreisbeigeordnete Susanne Simmler (SPDI gewandt, um die Darstellung des Kreises in Sachen „Errichtung eines Pflegestützpunktes in Hanau“ richtigzustellen.



Nachfolgend das Schreiben im Wortlaut:

"Sehr geehrter Herr Landrat Stolz, lieber Thorsten, sehr geehrte Frau Erste Kreisbeigeordnete Simmler, liebe Susanne,
vorab möchte ich darauf hinweisen, dass ich dieses Schreiben auch Interessierten und der Öffentlichkeit zugänglich machen werde.
In Ihrer Pressemitteilung vom 09.04.2019 behaupten Sie bzw. erwecken gezielt den Eindruck,
1. mit dem Kreistagsbeschluss vom 09. Dezember 2016 bestünde der Auftrag, im Stadtgebiet Hanau einen Pflegestützpunkt zu errichten,
2. es nur eines stärkeren Engagements der Stadt Hanau bedurft hätte, dann gäbe es bereits einen Pflegestützpunkt in Hanau,
3. nun sei mit einem finanziellen Beitrag der Stadt Hanau zu einem Pflegestützpunkt „eine ganz wesentliche offene Frage endlich geklärt“,
4. das Thema Kreisfreiheit habe mit der Errichtung eines weiteren Pflegestützpunktes in Hanau überhaupt nichts zu tun.

Richtigerweise behaupten Sie nicht mehr, der Main-Kinzig-Kreis habe 10.000 € zur Finanzierung der Rampe für das Haus am Steinheimer Tor beigetragen.

Zu 1. Kreistagsbeschluss vom 09.12.2016
Nach den erfolglosen Bemühungen 2009-2012 seitens der Stadt aber auch vieler ehrenamtlicher wie hauptamtlicher Hilfeorganisationen im Bereich der Pflege, einen Pflegestützpunkt in Hanau zu errichten, gaben mir die Gesetzesberatungen in Berlin 2016 (Pflegestärkungsgesetze) Anlass, mich erneut in dieser Angelegenheit im September 2016 an Frau Erste Kreisbeigeordnete Simmler zu wenden. Den Beschluss des Kreistages im Dezember 2016 nahm ich insofern erfreut zur Kenntnis. Allerdings sprach die Vorlage im Beschlusstext recht allgemein neben einer Modellkommune Pflege von der Einrichtung „weiterer Pflegestützpunkte“. Im letzten Absatz der Begründung wird davon gesprochen, „die Einrichtung weiterer Pflegestützpunkte in den Regionen Hanau und im östlichen Kreisteil gegenüber dem Bund und dem Land Hessen anzustreben.“

Umso erfreuter waren viele Hanauerinnen und Hanauer, dass der Landratskandidat Thorsten Stolz bei mehreren Wahlkampf-Auftritten die Einrichtung eines Pflegestützpunktes „in Hanau“ im Falle seiner Wahl zum Landrat als „konkretes Projekt“ ankündigte. Sie erinnern sich sicher auch an die Initiative des Fördervereins Palliative Patienten-Hilfe Hanau e.V. vom März 2017 und mein entsprechendes Schreiben vom 09.03.2017 unmittelbar in der Woche nach der Landratswahl.

Zu 2. stärkeres Engagement der Stadt Hanau
Im April 2017 begannen intensive Gespräche auf Arbeitsebene. Die seitens der Stadt Hanau zur Anmietung für einen Pflegestützpunkt angebotenen Räume im Haus am Steinheimer Tor wurden seitens des Geschäftsführers des KCA-Geschäftsbereiches Soziales (Sozialamt des Main-Kinzig-Kreises) als sehr geeignet angesehen und ein Starttermin im 4. Quartal 2017 als realistisch bezeichnet. Im Juli 2017 wurden die gemeinsam vorgesehenen Räume leergezogen sowie teilweise für den zukünftigen Verwendungszweck umgebaut. Anfang August wurde dem Main-Kinzig-Kreis ein Mietvertragsentwurf übersendet, der die bis dahin getroffenen Absprachen zusammenfasste. In einem Gespräch Ende August erzielten Frau Simmler und ich abschließende Klärungen in allen bis dahin vom Main-Kinzig-Kreis aufgeworfenen offenen Fragen. Der Vertrag war aus meiner Sicht unterschriftsreif.

Auffällig ist jedoch, dass ab diesem Zeitpunkt und speziell im September/Oktober seitens der Verwaltung des Main-Kinzig-Kreises (bzw. des KCA) bestehende Absprachen ignoriert, in Frage gestellt und neue Fragen aufgeworfen wurden. Auf Basis eines Gesprächs mit der Ersten Kreisbeigeordneten im November 2017 hatte ich bis vor kurzem den Eindruck, dass dies nicht mit der politischen Ebene abgesprochen war. Vor wenigen Tagen wurde mir ein Protokoll des gemeinsamen Steuerungsausschusses von Pflegekassen und Kommunalen Spitzenverbänden in Hessen vom 13. März 2018 in Frankfurt zugänglich, wonach der Main-Kinzig-Kreis bereits damals erklärte, der Pflegestützpunkt in Schlüchtern habe Priorität, „da bereits Räumlichkeiten angemietet wurden“. Dies wurde der Stadt Hanau gegenüber vom Main-Kinzig-Kreis nicht transparent gemacht. Es ist ob der jetzt vorliegenden Aktenlage mittlerweile zu fragen, ob diese Priorität absichtlich herbeigeführt wurde? Ob mit oder gegen die politische Führungsebene ist aus unserer Sicht dann eine ebenfalls offene Frage.
Zu 3. finanzielle Beteiligung der Stadt Hanau als offene Frage
Nach den gesetzlichen Grundlagen
- des Sozialgesetzbuches XI (insbesondere §7c - vormals §92c - Pflegestützpunkte),
- des Sozialgesetzbuches XII (insbesondere §3 - Träger),
- des Hessischen Ausführungsgesetz zum Sozialgesetzbuch XII (insbesondere §1 – Träger)

und auf dieser Basis
- dem „Rahmenvertrag für die Arbeit und Finanzierung der Pflegestützpunkte im Lande Hessen“ zwischen den Landesverbänden der Pflege- und Krankenkassen und den Kommunalen Spitzenverbänden

sind die Pflege- und Krankenkassen sowie die jeweiligen Landkreise oder kreisfreien Städte als örtliche Träger der Sozialhilfe gemeinsam Träger der Pflegestützpunkte und teilen sich die Kosten (§2,1 und §8,1 der Rahmenvereinbarung). Der für die Stadt Hanau derzeit zuständige Träger der Altenhilfe (§71 Sozialgesetzbuch XII) und Hilfe zur Pflege (Siebtes Kapitel Sozialgesetzbuch XII) ist der Main-Kinzig-Kreis.

Es gibt deshalb insofern keinerlei Rechtsgrundlage, von der Stadt Hanau oder irgendeiner anderen kreisangehörigen Stadt eine Kostenbeteiligung an einem Pflegestützpunkt zu fordern, weder in Schlüchtern oder Gelnhausen, noch in Hanau. Als kommunale Wahlbeamte sind wir darauf verpflichtet, „alle in Hessen geltenden Gesetze wahren“, wie es in unserem Diensteid heißt. Trotzdem war die Stadt Hanau jederzeit bereit, im Rahmen der Erstausstattung oder der Mietkonditionen dem Main-Kinzig-Kreis auf freiwilliger Basis entgegen zu kommen. Allerdings waren die Signale seitens der Verwaltung einerseits und der Dezernatsleitung andererseits hierzu widersprüchlich.

Eindeutig ist, dass es sich bei der Kostenbeteiligung des Main-Kinzig-Kreises um eine pflichtige Aufgabe handelt, während die Kostenbeteiligung einer in dieser Frage als kreisangehörig einzustufenden Stadt Hanau allenfalls als eine zusätzliche freiwillige Leistung erbracht werden kann. Ein Umstand, dessen Relevanz gerade in Zeiten der Schuldenbremse, des kommunalen Schutzschirms und der Hessenkasse Ihnen Herr Landrat als Kommunalaufsicht (außer über die Stadt Hanau - in diesem Punkt ist die Stadt Hanau bereits heute kreisfrei) gewiss bewusst ist.

Zu 4. Kreisfreiheit
Dieser Punkt lässt sich am einfachsten im Rückgriff auf die Gründungsphase der Pflegestützpunkte in Hessen klären. In der relevanten „Allgemeinverfügung des Hessischen Sozialministeriums zu Errichtung von Pflegestützpunkten in Hessen“ vom 8.Dezember 2008 heißt es, „dass die Pflegekassen und Krankenkassen in Hessen zunächst in jedem Landkreis und in jeder kreisfreien Stadt mindestens einen Pflegestützpunkt einrichten.“ Die oben bereits genannte Rahmenvereinbarung nimmt darauf Bezug. In den kreisfreien Städten Kassel (2011), Wiesbaden (2010), Darmstadt (2010), Frankfurt (2011) und Offenbach (2010) wurden in Folge Pflegestützpunkte eingerichtet genauso wie in den meisten Landkreisen. Bei letzteren i.d.R. in den größten Städten der jeweiligen Landkreise. Es kann nur unstreitig sein, dass bei Kreisfreiheit Hanaus den knapp 418.000 Einwohnern, die im Gebiet des derzeitigen Main-Kinzig-Kreises leben, statt nur einem Pflegestützpunkt in Gelnhausen bereits seit rund 8 Jahren die Beratungsdienstleistungen zweier Pflegestützpunkte in Gelnhausen und Hanau zu Verfügung gestanden hätten. Ob für die Bürgerinnen und Bürger des Altkreises Hanau der Pflegestützpunkt in Gelnhausen zuständig gewesen wäre, oder diese sich auch nach Hanau hätten wenden können, wäre sicherlich auf dem Wege einer Verwaltungsvereinbarung regelbar gewesen.

Zum Punkt Rampe
Es ist anzuerkennen, dass Sie in der Pressemitteilung nicht mehr die unwahre Behauptung wiederholen, der Main-Kinzig-Kreis habe die Rampe zum Haupteingang des Hauses am Steinheimer Tor mit 10.000 € bezuschusst. Tatsächlich waren es – wie Sie wissen - 2.767,65 €. Parallel hatte sich auch der Blinden- und Sehbehindertenbund Hessen – Bezirksgruppe Hanau bei der Aktion Mensch um eine Unterstützung des Baus dieser Rampe bemüht, damit nicht nur die Nebeneingänge des Hauses barrierefrei sind. Diese Zusage traf wenig später ein. Ich habe die Finanzierung der Rampe durch den Main-Kinzig-Kreis im Jahr 2017 als Signal gewertet, dass die baldige Eröffnung eines Pflegestützpunktes des Main-Kinzig-Kreises im Haus am Steinheimer Tor noch 2017 spätestens jedoch mit Beginn 2018 erfolgen kann. Allerdings wäre diese Rampe auch mit dem alleinigen Zuschuss der Aktion Mensch 2017/18 gebaut worden. - 4 -

Fazit
- Die Priorisierung eines zweiten Pflegestützpunktes in Schlüchtern gegenüber Hanau im März 2018 durch den Main-Kinzig-Kreis entbehrt jeder Grundlage. Dadurch können die Kranken- und Pflegekassen ihrer Verpflichtung „zur wohnortnahen Beratung, Versorgung und Betreuung“ (§7c SGB XI) gegenüber rund 60% der Kreisbevölkerung nicht mehr gerecht werden.
- Die Stadt Hanau ist bereit, mit dem Main-Kinzig-Kreis weiterhin Gespräche zu Errichtung eines offiziellen Pflegestützpunktes entsprechend der gesetzlichen Bestimmungen auf Grundlage des Verhandlungsstandes August 2017 zu führen.
- Die Stadt Hanau wird ab September d.J. im Haus am Steinheimer Tor ersatzweise ein Pflegeberatungszentrum einrichten und dafür auf freiwilliger Basis bereits jetzt den hälftigen Kostenanteil aufwenden, der auf sie ab Kreisfreiheit als Träger eines Pflegestützpunktes zukommt. Die Stadt Hanau wird dabei mit dem Förderverein Palliative Patientenhilfe kooperieren und dessen Konzept sowie zusätzliche finanzielle Unterstützung entsprechend umsetzen. Die Stadt Hanau wird mit den Pflegekassen Kontakt aufnehmen mit dem Ziel, dass diese Beratungsstunden in Hanau anbieten.
- Die Stadt Hanau behält sich eine Rückforderung der städtischen Leistung gegenüber dem zuständigen Träger Main-Kinzig-Kreis vor.
- Die Stadt Hanau wird das Hessische Sozialministerium um Stellungnahme bitten, inwieweit das Land Hessen das Vorgehen des Main-Kinzig-Kreises für fachlich sachgerecht erachtet.

In Hanau leben derzeit rund 9.000 Menschen im Alter zwischen 65 und 75 Jahren sowie weitere rund 9.000 Menschen über 75 Jahren. Nach bundesweiten Schätzungen haben ca. 10% der 65-75-Jährigen und ca. 30% der über 75-jährigen Bedarf an pflegerischen Leistungen. Der Großteil dieser Leistungen wird ehrenamtlich durch Angehörige erbracht. Die Anzahl in beiden Altersgruppen wird steigen und die familiären Pflegeressourcen sinken. Befindlichkeiten helfen diesen Menschen nicht weiter!"


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