Alarmierende Zahlen: „Es droht eine Generation Corona“

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Der Arbeits- und Ausbildungsmarkt im Main-Kinzig-Kreis trägt schon Spuren der Corona-Pandemie: Die Arbeitslosenquote ist kräftig gestiegen, die Zahl der Ausbildungsstellen gegenüber dem Vorjahr zurückgegangen. Wie belastend die Pandemie für die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt tatsächlich noch wird, lässt sich bislang nur erahnen. Im Main-Kinzig-Kreis hat sich jedoch schon ein Bündnis formiert, dass hier lokale Impulse für den Bereich Ausbildung setzen will: „Impulse 2020“.



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Die Erste Kreisbeigeordnete Susanne Simmler (SPD) hatte verschiedene Akteure aus den Bereichen Wirtschaft, Jobvermittlung und Arbeitnehmer eingeladen, um die Situation und mögliche Lösungen zu diskutieren. „Wir wollen verhindern, dass Corona die Zukunftspläne vieler vor allem junger Menschen zunichtemacht. Wo wir vor Ort, in unserem Kreisgebiet, gemeinsam gegensteuern und Ausbildungsbetriebe ermuntern und konkret unterstützen können, wollen wir das gemeinsam tun. Das geht nur in breiten Bündnissen, für die es im Kreisgebiet in der Vergangenheit schon erfolgreiche Beispiele gegeben hat. Wir wollen nicht nur Corona, sondern auch deren negative Folgen insbesondere für junge Berufsstarter eindämmen“, sagte Simmler.

Was die kurzfristigen Perspektiven für den Ausbildungsmarkt angeht, zeichneten die Wirtschaftsverbände beim Auftakttreffen in der Tat ein nur wenig hoffnungsfroh stimmendes Bild. Für die Industrie- und Handelskammer Hanau-Gelnhausen-Schlüchtern (IHK) berichtete Miriam Fuchs von einem prognostizierten Rückgang an Ausbildungsstellen von bis zu 20 Prozent. „Uns brechen aktuell Konstanten weg“, sagte sie mit Blick auf die Ausbildungstätigkeit großer Unternehmen. Das konnten die Kreishandwerkerschaften um Martin Gutmann (Hanau) und Klaus Zeller (Gelnhausen-Schlüchtern) in großen Teilen bekräftigen. Teils suchten bestimmte Handwerksbetriebe zwar „noch händeringend nach Bewerbern“, wie Zeller betonte, teils mache sich in den Gewerken aber durchaus „eine immer deutlichere Verunsicherung und große Bedenken“ breit, wie Gutmann daran anschloss.

Die Zahlen, die Michael Krumbe seitens des Kommunalen Centers für Arbeit (KCA) und Heike Hengster für die Agentur für Arbeit Hanau vorstellten, gaben dem sorgenvollen Blick in die Zukunft weitere Nahrung. Die überdurchschnittlich vom Export abhängige Wirtschaft am Standort Main-Kinzig sei demnach von der Corona-Pandemie besonders hart betroffen, „mit noch einmal gravierenderen Auswirkungen auf junge Menschen“, wie Krumbe ausführte. Die Arbeitslosenquote stieg deutlich auf 5,7 Prozent im Juni und noch einmal auf 5,9 Prozent im Juli an. Rund 5.500 Bürgerinnen und Bürger sind zusätzlich auf Leistungen aus dem Bereich SGB II („Hartz IV“) angewiesen, darunter mehr als 1.000 junge Menschen zwischen 13 und 25 Jahren. 4.100 Betriebe im Main-Kinzig-Kreis haben zwischen März und Juni Kurzarbeit angezeigt, für wie viele sie realisiert wird, ist noch offen.

„Die Unternehmen sind deutlich zurückhaltender bei der Meldung von freien Stellen und Ausbildungsplätzen. Allerdings gibt es gerade in den letzten Tagen wieder deutlich positivere Signale aus den Betrieben, so dass wir bis zum letzten Augenblick für das erfolgreiche Zusammenkommen von Betrieb und Azubi arbeiten“, gab Hengster Einblicke in den Stellenmarkt.

„Die Signale sind deutlich. Uns droht eine Generation Corona, die in großer Zahl durch die Pandemie in die Abhängigkeit von Sozialleistungen abrutschen könnte“, fasste es Susanne Simmler zusammen. Das müsse man frühzeitig verhindern. Es gelte, alle Kraft zusammenzunehmen. „Bundes- und Landesprogramme sind gut, lassen aber Lücken, die nur mit regionalem Pragmatismus und Ideenreichtum geschlossen werden können. Wir brauchen insbesondere zwei Impulse: Wir müssen den Berufsstart der jungen Menschen sichern und die Berufswege stärken. Das geht nur im Verbund, und das kann ein Zeichen an die Unternehmen, die Mitarbeiter und auch Auszubildenden sein“, sagte die Sozialdezernentin und stellte eine Initiative mit zwei Säulen vor:

  • Berufsweg starten: Wenn ein Unternehmen ein Ausbildungsverhältnis mit einem jungen Menschen schließt, der sich im Sozialleistungsbezug (SGB II – „Hartz IV“) befindet, erhält es in vier Schritten à 2.020 Euro bis zu 8.080 Euro – zum Start der Ausbildung sowie zum Ende jedes Ausbildungsjahrs.
  • Berufsweg sichern: Wenn ein Unternehmen Unterstützung bei bestehenden Ausbildungsverhältnissen benötigt, kann es sich in einem Verbund Hilfe auf kurzem Wege holen. Die Standesvertretungen des Handwerks, die IHK, das KCA, die Agentur für Arbeit und die kreiseigene Gesellschaft für Arbeit, Qualifizierung und Ausbildung (AQA) stehen als Ansprechpartner zur Verfügung.

Man müsse in Corona-Zeiten neben der Zahl der Ausbildungsstellen auch die Inhalte und die Zeit für konkrete Prüfungsvorbereitungen im Blick behalten, merkte Tanja Weigand, Geschäftsführerin der DGB-Region Südosthessen in der Runde an. „Es ist teils alarmierend, was wir zu den Problemen wie zum Beispiel bei der Prüfungsvorbereitung zurückgemeldet bekommen“, sagte Weigand. Erste Kreisbeigeordnete Susanne Simmler bekräftigte die Forderung. „Mit dem Impuls, Berufswege zu sichern können wir genau dort ein Angebot machen. Corona hat die Unternehmen ganz unterschiedlich unter Druck gesetzt. Sie mussten teilweise mit weniger Personal auskommen, neue Schichtmodelle einführen und ihr Angebot an ständig neue Auflagen anpassen. Dort, wo auch die Ausbildung und die damit verbundenen Aufgaben noch mehr belasten, wollen wir als Bündnis gerade mit unserer kreiseigenen AQA beraten und Hilfestellungen bieten“, erklärte Simmler.

Auf Arbeitsebene werden die „Impulse 2020“ in den kommenden Wochen im Detail ausgearbeitet. Sie sollen noch in diesem Sommer beziehungsweise zu Beginn des neuen Ausbildungsjahrs wirksam werden. Regelmäßig werden die Initiatoren zusammenkommen und mögliche weitere Impulse besprechen. Derweil sollen die ersten Impulse schon mal in der Fläche bekanntgemacht werden. Erlensees Bürgermeister Stefan Erb kündigte an, die Initiative des Kreises auf die Tagesordnung der nächsten Bürgermeisterkreisversammlung zu setzen.

„Unsere besondere Aufmerksamkeit verdient die Gruppe von jungen Menschen, die auch schon vor Corona von Arbeitslosigkeit oder Langzeitarbeitslosigkeit bedroht waren und deren Chancen sich durch Corona akut verschlechtert haben“, sagte Susanne Simmler, zugleich Gesundheitsdezernentin für den Main-Kinzig-Kreis. Die Pandemiesituation bleibe dynamisch, keiner wisse derzeit, wie sie sich durch die Urlaubssaison verändere. „Umso wichtiger ist es, die Arbeitsmarktrisiken abzumildern, die sich für Berufsanfänger ergeben, umso wichtiger ist es, ihre Zukunftsaussichten zu verbessern. Denn nur eine abgeschlossene Berufsausbildung gibt die besten Chancen auf Erfolg am Arbeitsmarkt. Das galt sowieso schon immer, hat sich aber jetzt nur noch verstärkt.“ Die Bündnispartner zeigten sich einig, dass nur dann gezielt geeignete Lösungen erarbeitet werden können, wenn im Verbund aller Akteure der Region Wissen über die besonderen Anforderungen gebündelt wird. Simmler: „Ein Gießkannen-Prinzip hilft den Betroffenen nicht, wir wollen konkret den Ausbildungsbereichen und Auszubildenden unter die Arme greifen.“

Hintergrund: Corona-Auswirkungen auf den Ausbildungsmarkt im Main-Kinzig-Kreis          

Die Arbeitslosenquote liegt im Main-Kinzig-Kreis bei 5,9 Prozent (Juli 2020) und damit auf dem gleichen Wert wie in Hessen. Der von Arbeitsmarktexperten berechnete „Corona-Effekt“ fällt jedoch höher aus als im Landesschnitt. Das erklärt sich vor allem über die höhere Exportabhängigkeit der Unternehmen im Kreisgebiet. Aber auch die Abhängigkeit von Importen im verarbeitenden Gewerbe macht die Region anfällig, Stichwort: unterbrochene Lieferketten. Betriebe des im Main-Kinzig-Kreis stark vertretenen verarbeitenden Gewerbes haben zwischen März und Mai für 44 Prozent der Beschäftigten Kurzarbeit beantragt. Gravierender als in anderen Teilen Hessens sind auch die Folgen für den Bereich Ausbildung. Im Juni dieses Jahres wurden 12 Prozent weniger Berufsausbildungsstellen gemeldet als im Vorjahresmonat. Der Anstieg der Arbeitslosen unter 25 Jahren ist landesweit sogar am höchsten (+43%; hessenweit: +29%). Im zweiten Quartal dieses Jahres vermeldete das Kommunale Center für Arbeit deutlich mehr Neuanträge für SGB-II-Leistungen („Hartz IV“) als im Vergleichszeitraum des Vorjahres (+125%). Davon betroffen sind unter anderem 1.016 junge Menschen zwischen 13 und 25 Jahren.

Foto: Gemeinsam Impulse gegen Corona-Folgen im Ausbildungsmarkt setzen: Erste Kreisbeigeordnete Susanne Simmler bespricht mit mehreren Akteuren aus den Bereichen Wirtschaft, Arbeitsmarkt und Kommunen erste Maßnahmen.


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