Konjunktur im Main-Kinzig-Kreis: Die Krise ist da

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Die Ergebnisse der aktuellen Konjunkturumfrage der Industrie- und Handelskammer (IHK) Hanau-Gelnhausen-Schlüchtern sind bemerkenswert schlecht. Nicht nur die wirtschaftliche Lage wird im Frühherbst deutlich schlechter als zuvor bewertet. Auch die Erwartungen der Unternehmen brechen über fast alle Branchen hinweg ein. Laut der Umfrage stürzen die saldierten Lagewertungen um 24,9 Prozentpunkte dramatisch ab.



Nur noch jedes sechste (18,7 Prozent) Unternehmen bewertet die Lage als gut, aber über ein Viertel (26,3 Prozent) als schlecht. Damit liegt das Lagebild bei dieser Frage um zwölf beziehungsweise zehn Punkte schlechter als vor einem Jahr. Im Herbst 2022 hatten der russische Überfall auf die Ukraine sowie die Lieferengpässe im Zuge der Coronakrise die IHK-Umfrage belastet. Im Winter und Frühjahr hatten sich Umfrageergebnisse etwas verbessert, um nun wieder zurück in den Krisenmodus zu fallen. Der erneute, schwere Absturz erstreckt sich über alle Branchen hinweg.

Auch die Hoffnungen auf die künftig bessere Geschäftslage haben sich fürs erste zerschlagen. Nur noch 7,1 Prozent der Unternehmen hoffen auf Besserung, aber 42,4 Prozent befürchten eine weitere Verschlechterung. Der Klimaindex fällt auf 77,3 Punkte – ähnlich schlecht wie in der Erdgaskrise im vergangenen Jahr (76,7), nur etwas besser als zu Beginn des Corona-Lockdowns 2020 (63,4) und in der Weltfinanzkrise 2009 (66,1). „Was mich besonders beunruhigt, ist die Vielzahl von Risiken, denen sich die Unternehmen in der jetzigen Krise ausgesetzt sehen. Denn darin liegt der Unterschied zu den früheren Krisen: Aus Sicht der Unternehmen brennt es diesmal an allen Ecken und Enden: Die Inlandsnachfrage sehen 67,5 Prozent der Unternehmen als Risiko, das ist der zweitschlechteste Wert seit 2010, Energie- und Rohstoffpreise: 60,9 Prozent, Fachkräftemangel: 58,6 Prozent, Rahmenbedingungen: 52,1 Prozent, Arbeitskosten: 49,1 Prozent – wenn man alle abgefragten Risiken addiert, erhält man den zweitschlechtesten Wert seit Beginn der Messungen im Jahr 2010. Besonders dramatisch: die jetzige Umfrage ist die fünfte hintereinander auf ähnlich schlechtem Niveau – in diesem Ausmaß und in dieser Dauer haben wir das noch nie beobachtet“ bewertet IHK-Hauptgeschäftsführer Dr. Gunther Quidde die Ergebnisse. Erheblich verschlechterte Aussichten melden so gut wie alle Branchen, wobei die Hersteller von Vorleistungsgütern besonders negativ auffallen. Ihre Branche läuft der wirtschaftlichen Entwicklung üblicherweise einige Monate voraus. Ihr Klimaindex liegt mit nur noch 66,4 Prozent noch unter dem schwachen Wert aller Branchen.

International und in Europa gibt es keinen vergleichbaren Einbruch. In Hessen, im Main-Kinzig-Kreis und Hanau beobachtet die IHK keine Sonderfaktoren gegenüber dem Rest der Republik. Deshalb liegen die Ursachen auf nationaler Ebene. Zum Beispiel die Verkehrsunternehmen: Vor einem Jahr lag der Saldo aus positiven und negativen Erwartungen noch bei -44,4. Jetzt ist er auf -57,1 abgerutscht, was mit hoher Wahrscheinlichkeit auch an der bevorstehenden Mauterhöhung liegt, die die Margen im durch hohe Treibstoffkosten und Fachkräftemangel gebeutelte Transportgewerbe weiter schrumpfen lassen wird.

Weil die Verantwortlichen in den Unternehmen sehr verunsichert sind und ihnen die Planungssicherheit für Investitionen und Mitarbeitereinstellungen abhandengekommen ist, warten sie klugerweise ab. Sie handeln sehr vorsichtig. Insbesondere in größeren Industrieunternehmen steht die Suche nach Geschäftschancen außerhalb Deutschlands, auf der Tagesordnung. „Immer öfter erhalten wir als IHK das Signal gerade aus den größeren Industrieunternehmen, dass ausländische Standorte für neue Investitionen bevorzugt werden“, fasst Quidde die Ergebnisse vieler Hintergrundgespräche zusammen. Dazu passen die Ergebnisse einer Studie des Wirtschaftsforschungsinstituts IW vom Juni: Im Jahr 2022 investierten deutsche Unternehmen 135,5 Milliarden € im Ausland. Aus dem Ausland wurden aber nur 10,5 Milliarden € in Deutschland investiert – saldiert ist das der größte Kapitalabfluss, der in Deutschland jemals gemessen wurde.

Politik verunsichert

„In einem wirtschaftlichen Umfeld, das durch kurzfristig nicht zu mildernde Risiken wie Fachkräftemangel, Inflation, hohe Zinsen geprägt ist, wäre es die Aufgabe der Bundesregierung, die Planungssicherheit zu erhöhen. Abgesehen von der Sicherstellung der Gasversorgung im vergangenen Winter nehme ich nichts davon wahr. Die Frustration der Unternehmen über neue Regelungen und schlecht gemachte Gesetze aus Brüssel und Berlin ist enorm“, meint Quidde.

„Nicht nur die Sinnhaftigkeit vieler Gesetzesvorhaben wird angezweifelt. Die zu ihrer Bewältigung in der Praxis nötigen Gelder fehlen zwangsläufig woanders, beispielsweise für Investitionen in den Maschinenpark oder die Gewinnung von Neukunden.“ Die steigenden Kreditzinsen erschweren schon jetzt vielen Unternehmen die Weiterführung ihrer Geschäfte. Das Geld wird knapp. Denn jedes fünfte Unternehmen hat Probleme bei der Finanzierung und fast jedes sechste (18,3 Prozent) beobachtet vermehrte Forderungsausfälle.

Sollte die Nachfrage dauerhaft einbrechen, weil die Verbraucher wegen steigender Zinsen und erhöhter Inflation, zum Beispiel durch deutlich gestiegene Strom- und Heizungskosten, kein Geld mehr für anderen Konsum haben, dann wird sich die Konjunktur länger nicht erholen.

Auf die Schnelle kann der konjunkturelle Absturz nicht gestoppt werden, dazu ist das Gesamtgeschehen zu träge. Deswegen wird die Krise auch den Arbeitsmarkt belasten – trotz grassierenden Fachkräftemangels. Die Zahl der Arbeitslosen im Main-Kinzig-Kreis steigt aktuell bereits leicht auf nunmehr 12.402 im September 2023. Das sind 1.979 mehr Betroffene als vor einem Jahr. Es steigt nicht nur die Menge der Langzeitarbeitslosen, auch bei den am Markt im Grunde stark nachgefragten Neuzugängen in die Arbeitslosigkeit ist seit Wochen ein merklicher Anstieg zu beobachten. Laut IHK-Umfrage ist ferner davon auszugehen, dass tendenziell eher Mitarbeiter freigesetzt als zusätzlich beschäftigt werden. Der entsprechende Indikatorwert beträgt -14,3. Der Indikatorwert für geplante Investitionen liegt bei -17,1 und – ein besonderes Alarmsignal für den eigentlich exportstarken Main-Kinzig-Kreis – der Indikator für den Export fällt auf -23,2.

„Seit fast 30 Jahren beschäftige ich mich beruflich mit Wirtschaftsstatistiken und -umfragen. Es ist immer mal wieder vorgekommen, dass die Stimmung schlechter war als die Lage. Doch so viel Unsicherheit, Frustration und Ärger habe ich noch nie beobachtet. Die Wirtschaft braucht jetzt dringend Zeichen aus Berlin, Brüssel und Wiesbaden, dass ihre Sorgen ernst genommen werden und die Unternehmen durch praxisnahe, bürokratiearme Lösungen entlastet werden“, fasst Quidde zusammen.

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