Medizinische Versorgungszentren als wegweisende Option

Wetterau
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Gut 40 Gäste aus Politik und Ärzten aus der Region kamen kürzlich zu einer Infoveranstaltung ins Friedberger Kreishaus zum Thema „Ärztliche Versorgung im ländlichen Raum“ zusammen.



Eingeladen hatte Erste Kreisbeigeordnete und Gesundheitsdezernentin Stephanie Becker-Bösch. Zentrale Frage des Nachmittages: Wie kann zukünftig die Sicherstellung der ärztlichen Versorgung im Wetteraukreis, insbesondere im ländlichen Raum gewährleistet werden?

Wie sieht die derzeitige Versorgungslage im Wetteraukreis aus? Welche Entwicklungen stehen bevor? Welche Maßnahmen müssen ergriffen werden um dem Ärztemangel in den nächsten Jahren entgegenzuwirken? Diesen zentralen Fragen widmeten sich Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, Mitglieder des Kreistages und Kreisausschusses und Ärztinnen und Ärzte aus der ganzen Region. Input erhielten die Gäste von Jürgen Nickel aus dem Wetterauer Gesundheitsamt, Dr. Eckhard Starke, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen und Dr. Lutz Ehnert, Facharzt aus Bad Nauheim. Tenor aller drei Referenten: Es ist höchste Zeit, gegen den drohenden Ärztemangel anzugehen und das nur gemeinsam.

Die Prognosen - so Nickel und Dr. Starke - zeigen, dass bis zum Jahre 2030 eine prekäre Entwicklung der Versorgungssituation und damit eine ambulante Versorgungslücke in der Wetterau drohen. Zwar gilt, dass die Zahl der Medizinstudenten an den hessischen Hochschulen in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen sind, aber: Eine Niederlassung, ob als Haus- oder Facharzt, ist für viele angehende oder schon examinierte Ärzte keine Option.

Dr. Starke ging in seinem Vortrag zunächst auf die aktuelle Versorgungslage ein. Mit 215 Hausärzten sei der Wetteraukreis derzeit noch überversorgt. In zehn Jahren könnte die Situation jedoch bereits anders aussehen. Bis 2030 ist mit einem Bevölkerungszuwachs von 5,5 Prozent in der Wetterau zu rechnen. Dabei wird sich insbesondere der Trend der Überalterung verstärken. Mit zunehmendem Alter steigt die Anzahl an ambulanten Arztkontakten. Neue Kapazitäten müssen dringend geschafft werden. Denn 2030 könnten laut Kassenärztliche Vereinigung 52 Prozent der niedergelassenen Hausärzte im Wetteraukreis altersbedingt ihre Tätigkeit beendet haben. Ähnlich sieht es bei Kinder- und Fachärzten aus.

Welche zentralen Entwicklungen stehen dem Wetteraukreis in den nächsten zehn Jahren bevor? Die Analyse der derzeitigen ärztlichen Versorgung im Hessen zeigt eindeutige Trends. Die Vereinbarkeit von Berufs- uns Privatleben, flexible Arbeitsmodelle, planbare Arbeitseinsätze und strukturierte Weiterbildungsmöglichkeiten sind klare Prioritäten der derzeitigen Ärztegeneration. So ist es nicht erstaunlich, dass die Dominanz der Einzelpraxis immer mehr schwindet. Zwischen 2007 und 2016 ist die Zahl der Einzelpraxen um rund sechs Prozent zurückgegangen. Nur noch 52 Prozent der Hausärzte – so Dr. Starke - arbeiten in einer Einzelpraxis. Der Trend geht klar zur kooperativen Praxis. Ärztegemeinschaften und fachärztliche Versorgungszentren boomen.

Auch hat sich das Geschlechterverhältnis in Hessen geändert. Der Anteil weiblicher Ärzte steigt konstant und somit auch die Anforderungen an die Beschäftigung. Hier zeigt sich deutlich, dass in den letzten zehn Jahren der Anteil des Angestelltenstatus prozentual enorm gestiegen ist. Sowohl bei den Fachärzten, als auch bei den Hausärzten ist eine deutliche Zunahme der Anstellung und der Teilzeitbeschäftigungen erkennbar.

Welche Weichen können nun gestellt werden um Nachwuchsmediziner gerade für den ländlichen Raum zu gewinnen? Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie muss gerade Ärztinnen ermöglicht werden. Laut Dr. Starke müssen die Hürden für potenzielle Praxisnachfolger jetzt schon abgebaut werden. Durch das Einbringen der Praxen in kooperative Strukturen und größere Verbünde werden Anreize geschaffen, um die Wünsche nach Anstellung, Teilzeit und Arbeiten im Team realisierbar zu machen. Bereits jetzt könnten Ärzte als Coach oder Mentor eintreten um die Praxisübergabe zu begleiten.

Ein konkretes Beispiel, wie dem Ärztemangel im ländlichen Raum entgegengewirkt werden kann, zeigte Dr. Lutz Ehnert aus Bad Nauheim. Unter dem Motto „Stadtpraxis unterstützt Landpraxis“ entstand 2018 die standortübergreifende Gemeinschaftspraxis Münzenberg/Bad Nauheim im Rahmen eines neu gegründeten Medizinischen Versorgungszentrum (MVZ). Hintergrund: Nach über 30 Jahren stand die Praxis von Jürgen Fölsing in Münzenberg vor der Schließung. Ein Nachfolger für den in den Ruhestand gehenden Arzt konnte zunächst nicht gefunden werden. Hier schaltete sich nun sowohl die Kommune Münzenberg als auch das Ärztehaus am Park aus Bad Nauheim ein. Zusammen mit Dr. Ehnert wurde nach einem passenden Nachfolger gesucht. Nach kurzer Zeit trat Martina Beck, die sich zu diesem Zeitpunkt im letzten Jahr ihrer Ausbildung in der Bad Nauheimer Praxis befand, in die Münzenberger Landpraxis ein. Ganz allein wollte die Ärztin die Praxis jedoch nicht führen und so entstand das Konzept für ein MVZ. Voraussetzung für die erfolgreiche Umsetzung des Konzepts war die Renovierung der Altpraxis sowie ein neuer Anbau, der finanziell vom Land Hessen gefördert wurde.

Dass die Sicherstellung der Versorgung nicht nur Aufgabe der Kassenärztlichen Vereinigung bzw. der Ärzte ist, stellte auch Erste Kreisbeigeordnete und Gesundheitsdezernentin Becker-Bösch deutlich klar: „In meinen Augen ist die Schaffung von medizinischen Versorgungszentren, die die Ärzteversorgung, Notfallversorgung und auch das System der Gemeindeschwestern beinhalten, eine wegweisende Option zur Sicherstellung der ärztlichen Versorgung in der Wetterau, die planbar, machbar und umsetzbar ist. Der Kreis alleine kann diese Aufgabe allerdings nicht stemmen. Gemeinsam mit den Ärzten und auch zusammen mit den Kommunen müssen wir die Rahmenbedingungen jetzt schaffen. Zentrale Themen in diesem Zusammenhang sind unter anderem die Standortsicherung und -förderung und die Infrastruktur um die Kommune als attraktiven Lebensraum zu stärken und auch die Einbindung des Gesundheitszentrums Wetterau.“


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